Dortmund. Polizeischutz begleitete den Auftritt des politisch engagierten Pianisten Igor Levit in Dortmund. Das Publikum feierte sein anspruchsvolles Spiel.

Die geradezu apollinischen Lobeshymnen, mit denen Igor Levit seit Jahren auf dem Olymp der Pianisten-Elite überschüttet wird, wirken auf den ersten Blick wie die Früchte einer perfekt ausgerichteten Marketing-Strategie. Unlängst untermauert durch eine beachtliche Gesamteinspielung aller Beethoven-Sonaten und vor allem durch telegene Auftritte in Talkshows, in denen sich der russisch-deutsche Musiker pointiert gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz ausspricht. Dass ihm dieses Engagement schon eine Morddrohung eingebracht hat, schien seiner medialen Außenwirkung den letzten Schliff zu verleihen.

Die ungewöhnlich starke Polizeipräsenz im Umfeld des Konzerthauses während seines Dortmunder Auftritts relativierte derart vordergründige Eindrücke jedoch rasch. Die Tatsache, dass bereits ein Klavierabend auf Polizeischutz angewiesen ist, bestätigt die Befürchtungen und Vorwürfe des 32-jährigen Musikers. Und wenn man dem alles andere als populär oder gar populistisch gestrickten Programm und dem absolut seriösen Auftritt des Pianisten lauscht, wird schnell klar, dass sich Igor Levit mit seinem Musikverständnis deutlich von künstlich aufgebauschten Stars wie Lang Lang oder Martin Stadtfeld abhebt.

Das Konzerthaus war trotz der unbequemen Werkfolge bis auf den letzten Platz besetzt

Es spricht für das Dortmunder Publikum, dass das Konzerthaus trotz der unbequemen Werkfolge bis auf den letzten Platz besetzt war. Und leicht machte es Levit weder sich noch den Hörern. Überwiegend weniger bekannte Namen bestimmten das Programm und das mit Werken unter dem Zeichen des Kontrapunkts, der Quelle strenger und sperriger Kanons und Fugen. Mit dem substanzreichsten Beitrag eröffnete Levit den Abend und zwar mit Johannes Brahms‘ kongenialer Klavier-Transkription der berühmten Violin-Chaconne Bachs für die linke Hand, der Levit unprätentiös mit klar artikulierter Tongebung und ausgeprägt phrasierter Linienführung transparente Konturen verlieh.

Das pianistisch anspruchsvollste Werk krönte den Abend, Ferruccio Busonis aberwitzig ehrgeizige und komplexe „Fantasia contrappuntistica“ aus dem Jahre 1910. Busonis selbstbewusster Versuch, Bachs fragmentarisch hinterlassenes Finalstück aus der „Kunst der Fuge“ zu Ende zu führen. Zu bewältigen ist eine fast halbstündige Mixtur aus fantasieartigen Klangfluten und strengen Fugen, aus schlichten Choralanklängen und orchestraler Opulenz.

Standing Ovations nach einer anspruchsvollen Vorstellung auf hohem Niveau

Die Konzentration, die detailgenaue Feinarbeit und die reflektierte formale Übersicht über den Ton-Dschungel, die Levits Interpretation erkennen lässt, zeugen von einer über jeden Zweifel erhabenen pianistischen und musikalischen Kompetenz.

Geschickt stellte der Pianist den Wucherungen Busonis mit Johann Kaspar Kerlls frühbarocker Passacaglia ein kontrastierendes Beispiel von geradezu asketischer Klarheit voran. Einen Wermutstropfen lieferte Levit ausgerechnet mit dem längsten Werk des Abends, den gut 45-minütigen „Dreams II“ des wie Levit politisch engagierten amerikanischen Komponisten Frederic Rzewski, das Levit 2014 aus der Taufe hob. Trotz dankbarer pianistischer Herausforderungen hinterließ ausgerechnet der längste Beitrag des Abends im Umfeld von Bach und Busoni den sprödesten Eindruck.

Standing Ovations nach einer anspruchsvollen Vorstellung auf hohem Niveau, dem das Publikum bis zum letzten Ton mit wacher Aufmerksamkeit folgte.