Essen. Dinge laufen aus dem Ruder - kein Stein bleibt mehr auf dem anderen: Der Film „Queen & Slim“ erzählt eine alte Kinogeschichte faszinierend neu.
Der Schuss fällt unvermittelt. Er fügt der Frau eine Fleischwunde zu, und die Kette weiterer Gewalt ist nicht mehr aufzuhalten. Dann fällt noch ein Schuss und ein Polizist liegt tot auf der Straße. Für Queen, die toughe, aber frustrierte Rechtsanwältin, die früher am Tag einen ohnehin aussichtslosen Fall verlor, und den eigentlich recht entspannten Slim sieht die Sache nicht gut aus.
Denn die beiden haben eine schwarze Hautfarbe, der Polizist aber war ein Weißer. Sowas kommt hier in Ohio, also mitten im Mittleren Westen überhaupt nicht gut. Also handeln Queen und Slim spontan. Sie setzen sich wieder ins Auto und fahren davon; erst einmal in einen anderen Bundesstaat und dann weiter Richtung Florida, wo sie auf ein Boot hoffen, mit dem sie nach Kuba übersetzen können.
„Queen & Slim“ ist beeindruckendes Kino, auch seiner aufregenden Optik wegen
Es gibt diese Tage, die ganz normal beginnen, und dann reicht ein kleiner Anlass, die Dinge laufen aus dem Ruder und nichts wird mehr sein, wie es einmal war. Das amerikanische Kino – nicht Hollywood - hat in den 70er- und 90er-Jahren sehr interessante und unterhaltsame Filme darüber gemacht. Mit „Queen & Slim“ von diesem Film von Melina Matsoukas, der in dieser Woche in unseren Kinos anläuft, ist wie aus dem Nichts ein würdiger Nachfolger aufgetaucht. Der Film sieht aufregend gut aus, weil er Kamerawinkel und Licht in einer Weise setzt, die allein der atmosphärischen Verdichtung des Augenblicks dient.
Kaum zu glauben, dass dies ein Kinodebüt sein soll. Die Regisseurin drehte immerhin zehn Jahre lang aufwändige Musikvideos etwa für Lady Gaga und Kylie Minogue, Rihanna und Beyoncé. Diese Schule des chromblitzenden Handwerks hat sie bravourös verinnerlicht für die Illustration eines Drehbuchs, das einige Hilfe nötig hat, denn unterhalb der superben Oberfläche aus Flucht-Thriller und Roadmovie wird oft doch mehr abgebissen als gekaut. So gibt es keine Erklärungsversuche, wieso der Polizist eine ganz einfache Verkehrskontrolle fatal eskalieren lässt, wieso jungen Schwarzen im Protest gegen Rassismus eine Sicherung durchbrennt und sie zur Waffe greifen, wieso Drogenhandel ebenso zur schwarzen Normalität gehört wie schwere Waffendelikte.
Kein „Bonny & Clyde“, aber mit Daniel Kaluuya und Jodie Turner-Smith hat der Film zwei außergewöhnliche Hauptdarsteller
Aber es geht hier eben nicht um Analyse, sondern um ein Stimmungsbild, das sich symbolträchtig in den Gesichtern der beiden außerordentlichen Hauptdarsteller Daniel Kaluuya und Jodie Turner-Smith spiegelt. Mit „Bonnie & Clyde“ hat das alles rein gar nichts zu tun, eher schon mit dem Pärchen aus Steven Spielbergs Frühwerk „Sugarland Express“ oder mit „Thelma und Louise“. Queen und Slim sind keine Kriminellen, eigentlich sind sie nicht einmal ein Liebespaar, und ganz sicher sind sie keine Helden oder Märtyrer. Aber es ist schön zu sehen, wie sie zu all dem wurden.