Anwalt unterdrückter Frauen, märkischer Flaneur? Zum 200. Geburtstag Fontanes reicht die Bandbreite der Neuerscheinungen von Essay bis Hörbuch.
Fontane, der Festliche
Ein Klassiker, der tatsächlich unter jeden literaturfreundlichen Baum passt, ist zum 200. Geburtstag neu aufgelegt worden. Das notizbuchkleine „Weihnachten mit Theodor Fontane“ (S. Fischer, 200 S., 12 €) mischt Vertrautes und Entdeckung. In Michael Adrians Anthologie treffen Fontane-Freunde alte Bekannte: die spökenkiekende Zwergin Hoppenmarieken aus „Vor dem Sturm“ etwa. Mathilde Möhring, die sich bekanntlich unterm Christbaum verlobt, oder Effi Briest, an deren Festtagen es schon früh Tränen des Kummers gibt. Überraschungen bieten nicht nur die weniger bekannten Gedichten in diesem handlichen Bändchen und die gut gewählten autobiografischen Auszüge („Meine Kinderjahre“), sondern auch jene Briefe, die Fontanes Witz und seine Lust an der Kritik spiegeln, darunter nicht zuletzt die Erkenntnis, „daß es angenehmer ist, Gast als Wirth sein. Namentlich auch billiger.“
Fontane, kriminell
Eine Novelle Fontanes ist unlängst erschienen in der renommierten Reihe „Juristische Zeitgeschichte“. Das ist nicht entlegen, das ist naheliegend, denn strafrechtlich relevant ist das Zentrum des Erzählten zweifellos Der Dichter spann „nach einer altmärkischen Chronik“ die aufwühlende Geschichte jener Grete Minde (de Gruyter, 229 S., 99 €) nach, die um alles Schöne im Leben betrogen worden war und sich mit einem selbstmörderischen Kapitalverbrechen rächte: im Abfackeln der Stadt Tangermünde. Neben dem vorzüglichen Kommentar und dem reichen Briefwechsel rund um die Entstehung der Novelle wird die Ausgabe durch zwei große Kommentare bereichert. Der Oberhausener Germanist Walter Zimorski und die etablierte Strafrechtlerin Anja Schiemann sind ihre Autoren.
Fontane, vorwiegend zu Fuß
Von der großen Romanbox in Hörbuchform zum Fontane-Jahr haben wir bereits berichtet. Die Edition Gert Westphal liest Fontane (der hörverlag, 6 mp3-CDs, 49 €) hat als Herz die Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Die Texte sind stolze, wenn auch nicht ungebrochene preußische Heimatkunde. Zugleich aber illustrieren sie prachtvoll Theodor Fontanes Lust, immer noch ein wenig farbiger auszumalen, „wie es in alten Zeiten war“, ob er von der uralten Königseiche erzählt oder in der Tragödie um des Prinzen Freund Katte an jene Grausamkeit erinnert, die den späteren Alten Fritz wohl lebenslang geprägt hat. Die Güte dieser Ausgabe wurzelt aber vor allem im Sprecher Gert Westphal: Fontanes detailbesessene Perspektive, sein gelassener Humor, seine jeden Stand ideal porträtierende Sprache: Bei Westphals nuancensattem Kavalierbariton ist alles bestens aufgehoben. Bei knapp zweieinhalbtausend Wanderungs-Seiten stellen auch die 40 Vorlesestunden noch eine gekürzte Fassung dar, aber diese ist überaus gelungen. Ungekürzt dabei ist die Autobiografie „Meine Kinderjahre“ und eine glutvolle Balladenstunde von Ribbecks Birnbaum bis zur Brück’ am Tay.
Fontanes Frauen
Ehe der Mönchengladbacher Burkhard Spinnen seinen Weg als begnadeter Erzähler machte, war er eine ganze Weile Germanist. Umso entwaffnender, dass er heute einräumt, damals eine ganze Weile gebraucht zu haben, um unter Fontanes „scheinbar konventioneller oder gar antiquierter Erzähloberfläche“ eine ganze „Welt sozialer und psychologischer Spannungen“ entdecken zu können. Spinnen holt das in seinem 2019 erschienenen Bändchen Und alles ohne Liebe (Schöffling, 112 S., 12 €) detailsatt, sehr kundig und vielfach plausibel nach.
Man sollte seinen Fontane freilich für den vollen Genuss dieses Werks gelesen haben. Effi und Lene, Mathilde, die Schwestern Poggenpuhl: Spinnen hat die acht „Berliner Romane“ Fontanes auf Schicksal und Rollenbild ihrer weiblichen Hauptfiguren untersucht. Der Mut zu dem, was Spinnen eine „literarische Familienaufstellung“ nennt, hat sich ausgezahlt. Es ist ein kraftvolles, konzentriertes Buch, das vor allem auf eines Lust macht: die erneute Lektüre Fontanes.