Wuppertal. Ein „Wehrwirtschaftsführer“ stellte in seiner Lackfabrik den geächteten Maler Schlemmer ein – dessen Weg und Werden zeigt nun das von-der-Heydt.
Oskar Schlemmers Lage wurde seit 1933 zunehmend verzweifelt: Die Nazis hatten den einstigen Bauhaus-Lehrer 1933 aus dem Professorenamt an den Vereinigten Staatsschulen für freie und
angewandte Kunst entfernt, im März 1933 wurde seine erste große Einzelausstellung in Stuttgart geschlossen, noch bevor man sie eröffnen konnte. Ein Jahr später wurden seine Wandbilder für den Brunnenraum im Essener Folkwang-Museum entfernt und 1937 waren sechs seiner Gemälde in der Diffamierungsausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen.
Schlemmer wusste: Konsequent wäre es gewesen zu emigrieren. Aber mit Frau und drei Kindern mittellos ins Ausland zu gehen, schien ihm aussichtslos: Ich komme vom Hellen, Allzuhellen und gehe ins Dunkle, aus politischen Gründen.“. Da kam die Einladung des schillernden Wuppertaler Lackfabrikanten Kurt Herberts wie gerufen. Der verdiente sich mit Farbanstrichen für Schiffe, Panzer, Flugzeuge der aufgerüsteten Wehrmacht eine goldene Nase und war als „Wehrwirtschaftsführer“ unantastbar. Beschäftigte aber verfemte Künstler wie Georg Muche, der an der Krefelder Kunstgewerbeschule Unterschlupf gefunden hatte, oder den abstrakten Maler und späteren Nachkriegshelden des Informel Willi Baumeister – und dann auch dessen alten Freund Oskar Schlemmer.
Tarnanstriche für Gasometer und andere Industriebauten
Der Maler hatte aus purer Not schon für eine Stuttgarter Firma Tarnanstriche für Gasometer und andere Industriebauten entworfen, wurde aber in wie die anderen Künstler angestellt als Professor („für maltechnische Forschungsvorhaben“) und bekam ab 1940 sogar die Leitung des eigens eingerichteten „Instituts für Malstoffkunde“ übertragen, das in einem Gründerzeit-Haus am Döppersberg eingerichtet wurde. Die Künstler sollte Wandbilder für Fabrikbauten entwerfen und Lack-Design für diverse Alltagsgegenstände. Inkognito designten sie Dosen, Näh- und Zigarrenkästen und malten auch schon mal Bilder für einen Wandkalender.
Schlemmer etwa, der bis 1942 auch in Wuppertal wohnte, erfand für Herberts auch einen „Maler-Schrank“; doch der wurde im Krieg ebenso zerstört wie Muches Wandmalereien. Überhaupt kam das Allermeiste gar nicht zur Ausführung wie Schlemmers Fabrikdekorationen, deren Figuren als zu monumental empfunden wurden, oder sein Lackkabinett zur Demonstration von Verwendungsmöglichkeiten dieses Werkstoffs, für das am Ende kein Geld da war.
Eine postume Ausfürung des „Lackkabinetts“ von 1987
So stehen in der neuen Oskar-Schlemmer-Ausstellung des Wuppertaler von-der-Heydt-Museums Aberdutzende von Skizzen, Zeichnungen und Entwürfen, die ahnen lassen, wie kühn auch der vielfach gedemütigte Schlemmer noch dachte, wie sehr er besessen war von der Idee der idealen Figur im Raum. Zu sehen ist auch eine Ausführung des Lackkabinetts, die 1987 für eine Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein entstand. Und Fotos von den Kostümen für ein läppisches „Lack-Ballett“ von drei Minuten, das 1941 zum 75-jährigen Jubiläum der Herberts-Fabriken von der Gymnastikgruppe der Firma aufgeführt hatte und selbstverständlich nur ein lahmer Abklatsch des legendären „Triadischen Balletts“, mit dem Schlemmer kurz nach dem Ersten Weltkrieg Furore gemacht hatte.
Die zweite Attraktion dieser Ausstellung neben der Ausbeutung des Konvoluts von über 300 Zeichnungen, die der Wuppertaler Kunst- und Museumsverein 1963 von Schlemmers Witwe erworben hat, besteht in der sehenswerten, genussvollen Illustration des Weges, den Schlemmer bis nach Wuppertal genommen hat und die seine künstlerische Ausnahme-Entwicklung im Kontext seiner Einflüsse und Zeitgenossen nachzeichnet. So bekommt man in Wuppertal auch Picasso und Seurat zu sehen, Courbet, Corot und Cézanne, Paul Klee (den Schlemmer glühend verehrte und am Bauhaus zum Kollegen haben sollte) und Picasso, Feininger und Kandinsky, Max Ernst, Gerhard Marcks, Otto Mueller, Braque und Otto Mueller. Eine Augenweide nach der anderen, schlüssig um den roten Faden Schlemmer gruppiert. Dessen Wuppertaler „Fensterbilder“, seine letzte Werkphase vor seinem Tod 1943, sind Zeugen der Zerrissenheit: Es geht nicht mehr um Figuren im Raum, es geht nur noch um Aussichten. Ferne. Blicke aus dem goldenen Käfig.