Essen. Wenn dem Film die Worte fehlen: Im Musikforum Bochum startet die Reihe „Chaplins Universum“. Für die Stummfilm-Musik sorgt Dirigent Helmut Imig.

Vielleicht hat es mit dem Genre Stummfilm zu tun, dass Helmut Imig ein stiller Star geblieben ist. Eine Institution ist der Dirigent allerdings – als Mann am Pult vieler Orchester, die den Film zum Klingen bringen. Große Kompositionen zu Filmklassikern zu dirigieren, das ist die Domäne des 77-jährigen Wahl-Esseners. Lars von der Gönna traf Helmut Imig zum Gespräch.

Wie kam der Film zu Ihnen?

Helmut Imig: Ich war 30 Jahre lang Operndirigent, und dann nahm man in Frankfurts Alter Oper den großen Stummfilm „Rapsodia Satanica“ ins Programm. Zu dem hatte kein Geringerer als Pietro Mascagni, Komponist der Cavalleria Rusticana, die Musik geschrieben: „Da brauchen wir einen, der Mascagni kann“. Das war ich. Und da das gut lief, ging es weiter. Mit Schostakowitsch, Hindemith: Große Komponisten haben eben auch Filmmusik gemacht. Ich kriegte so viele Aufträge, dass ich kündigen konnte. Live-Musik zu Filmen wurde ein Markenzeichen.

Worin liegt der Reiz, einen Film live zu dirigieren?

Der Film wartet nicht. Film heißt: Ich kriege Befehle von oben. Insofern habe ich eine Verantwortung weniger. Die hat der Film. Da kann man sich als Dirigent nicht selbstverliebt ins Interpretieren verstricken. Das gefällt mir. „Bamm!“: Da fliegt bei Chaplin der Schneeball, und du musst mit dem Orchester exakt auf den Punkt da sein.

Ein extremer Druck. Können Sie dann am Pult noch genießen?

Absolut. Ich liebe das – wenn es gelingt. Erfahrung ist ein großes Pfund: Wenn Sie einen Film 50 Mal dirigiert haben, schafft man auch Herausforderungen. Der gleiche Film ist nämlich nicht derselbe. Es gibt oft zig Fassungen, anders geschnitten, andere Längen, man muss wach bleiben. Aber es gibt auch Leichtes: An manchen Stellen sag’ ich bei Proben zum Orchester: „Da brauchense gar nicht zu üben, an der Stelle lachen die Leute sowieso laut...“

Wie kamen Sie zum Beruf Musik?

Sagen wir mal so: Ich mag es, Probleme zu lösen. Als junger Mann wollte ich Physiker werden. Aber meine Eltern fanden, ich sollte aus meiner Begabung am Klavier was machen: Pianist! Dort fand ich mich wieder nicht gut genug. So kam ich auf Dirigent. Nicht, weil man das Sagen hat, sondern weil man nicht so gut auf dem Klavier sein muss. (lacht)

Kinosäle haben heute grandiose Sound-Anlagen. Wozu da noch Film mit einem Orchester begleiten?

Live is live, da kommt einfach nichts gegen an. Und ich stelle immer wieder fest, dass Zuschauer, die das einmal erleben durften, zu ganz treuen Fans dieser Konzerte werden.

Hat sich die Musik in ihrer Natur geändert, als der Tonfilm kam?

Doch, ja. Die Musik des Stummfilms ist bezugsreicher, wesentlicher. Sie ersetzt ja Sprache – und da haben wir eine der schönsten Seiten der Musik: Sie drückt aus, was man in Worten gar nicht sagen kann. Klar, hab ich auch Neues dirigiert wie den „Fluch der Karibik“, aber so reizvoll war das nicht: Schwertgeklapper und Co. Längst nicht so genial wie die Musik in den Stummfilmen.

Sie dirigieren viel Chaplin. War er ein großer Komponist?

Genial! Schwieriger Mann, Perfektionist, aber fabelhaft instinktsicher. Der Mann machte ja alles, Regie, Drehbuch, Hauptrolle, Musik. Und dann die Ironiefähigkeit: Am Ende von „Goldrausch“, beim Kuss, wird Chaplin, ohne den es den Film ja gar nicht gäbe, in seiner Rolle angemotzt: „You’ve spoilt the photo!“ (Sie haben das Bild verdorben!) (lacht)

Auch die Musik ist ironisch...

Oft! Wenn in „Goldrausch“ einer Hunger hat oder besoffen ist, taucht Wagners „Tannhäuser“ auf: „O du mein holder Abendstern...“

Apropos: Als Heiner Müller in Bayreuth „Tristan“ inszenierte, nannte er Richard Wagner den Erfinder der Filmmusik. Quatsch oder wahr?

Das hat was! Klar, ahnte Wagner nichts vom Film. Aber da tat sich was: Spielen Sie mal Mozart und Beethoven nicht im Takt, das geht total schief. Aber die Romantik ist eben Passion, Atmosphäre, Freiheit im Rhythmus – das alles hat tatsächlich viel mit Filmmusik zu tun.

Im Dezember dirigieren Sie gleich vier Mal in den Konzerthäusern von Essen und Dortmund „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. Ein Kultfilm – aber ist Ihnen diese Musik nicht ein bisschen zu kitschig?

Nein, die Musik mag ich wirklich gern. Dieser Film ist einfach sehr charmant – und nicht schwer zu dirigieren, da geht alles ganz sanft inein­ander über. Das reine Vergnügen!