Essen. Klänge, die mit einem Schillern leuchten, in der Essener Philharmonie: Kompositionen von Gérard Grisey, Francesco Filidei und Bruno Maderna.
„Ich komponiere nicht mit Noten, sondern mit Klängen“: Das Bekenntnis des Komponisten Gérard Grisey bestimmte den Gastauftritt des WDR Sinfonieorchesters Köln in der mäßig besuchten Essener Philharmonie. „Transit“, das Motto des diesjährigen „NOW!“- Festivals bezog sich an diesem Abend auf enge Verbindungen zwischen Musik und visuellen Künsten, die sich vor allem in den Klangstrukturen der drei Werke aus den Federn italienischer und französischer Komponisten niederschlugen.
Dass die Interpretationen der zwischen 1972 und 2016 entstandenen Werke an schillernder Leuchtkraft und spieltechnischer Präzision kaum zu übertreffen sein dürften, überrascht angesichts im Umgang mit Neuer Musik so erfahrener Interpreten wie das WDR Sinfonieorchester und den nicht minder versierten Gastdirigenten Sylvain Cambreling nicht im Geringsten.
Aufgewühlte Klangblöcke erinnern an Geburtsschmerzen
Die starke Affinität Cambrelings zu seinem 1998 verstorbenen französischen Landsmann Gérard Grisey führte zu einem besonders eindringlichen Vortrag der Tondichtung „L’Icône paradoxale“ (Das paradoxe Bild), eine Hommage an das Gemälde „Die Madonna der Geburt“ des Malers Piero della Francesca aus dem 15. Jahrhundert, das die schwangere Madonna in einem erstaunlich realitätsnahen Zustand darstellt. Das komplexe Klangbild erhält durch den Einsatz zweier Frauenstimmen (vorbildlich Katrin Baerts und Kora Pavelic) ein zusätzliches „humanes“ Register. Die aufgewühlten, zerrissenen, an Geburtsschmerzen erinnernden Klangblöcke des Anfangs münden nach gewaltigen Steigerungen in einen entspannten, choralartigen Schlussgesang.
Weichere, bisweilen geradezu süßliche Töne prägen das jüngste Stück des Abends, Francesco Filideis vor drei Jahren uraufgeführtes Konzert für Flöte und Orchester, das unter dem Titel „Sull’essere angeli“ (Über das Sein der Engel) an die bizarren Selbstporträts der jung aus dem Leben geschiedenen Fotografin Francesca Woodman erinnern soll. Der von Mario Caroli souverän beherrschte Flötenpart bildet die quasi in Anlehnung zum Körper der sich selbst aus unterschiedlichen Perspektiven darstellenden Fotografin angedachte Grundsubstanz des Werks. Tönende Portraits, die durch subtile, bisweilen an Ravel erinnernde Klangfolien des Orchesters filigran und differenziert ausgeleuchtet werden.
Das in Kleingruppen aufgesplittete Sinfonieorchester zaubert
1973, im Geburtsjahr Francesco Filideis, starb Bruno Maderna, ein Schwergewicht der postseriellen Ära, ein mehr an Klangsinnlichkeit als an struktureller Logik interessierter Klassiker der Moderne, der mit seinem späten Orchesterstück „Aura“ virtuos demonstriert, was sich mit einem in etliche Kleingruppen aufgesplitterten Sinfonieorchester zaubern lässt. In 15 Minuten präsentiert er eine Mixtur unterschiedlichster Farbwerte und Farbmischungen. Eine modellhafte Demonstration feiner Klangästhetik mit beachtlichem Einfluss auf folgende Generationen.
Insgesamt ein Abend mit wertvollen Stücken in Interpretationen allererster Klasse. Das Essener Publikum reagierte entsprechend begeistert.
Infos zu „Now!“: www.philharmonie-essen.de.