New York. Das Museum of Modern Art hat für 400 Millionen Dollar umgebaut. Und die weltweit beste Sammlung von Kunst des 20. Jahrhunderts neu sortiert.
Wie Ann Temkin künftig das Gewohnheitstier im typischen Besucher des Museums of Modern Art (MoMA) herausfordern will, ist auf der 5. Etage, Galerie Nummer 514, vielleicht am besten zu ergründen. Picassos Gemälde „Das Atelier” neben einer Skulptur von Constantin Brâncuși, einem glitzernden Schachspiel von Man Ray, Schwarz-Weiß-Bildern der deutschen Fotokünstlerin Germaine Krull und einem kubistischen Frauen-Gemälde von Fernand Léger. Klammer für alles: das Paris der 20er-Jahre.
So hat die Chefkuratorin des Hauses im Herzen Manhattans, das sich der größten und bedeutendsten Kunstkollektion des 20. Jahrhunderts rühmt, im Kleinen durchexperimentiert, was das MoMA mit der Wiedereröffnung nach einem 400 Millionen Dollar teuren Um- und Erweiterungsbau ab Montag, 21. Oktober, im Großen dokumentieren will: Normales Werke-Gucken ist uncool. Buchhalterisch sortierte Gattungen und Epochen, die mit -ismus enden, als Ordnungsprinzip sind statisch und von gestern.
Wie gewohnt in Monets grandiosem Seerosenteich baden
Die neue Losung lautet: Der multimedial getaktete Mensch des 21. Jahrhunderts soll im neuen „MoMA” durch eine gezielt auf Was-soll-das-denn-jetzt?-Widerspruch setzende Mischung zu neuer Inspiration und neuem Nachdenken gelangen. Dazu werden nicht durchgängig, aber oft, Malerei, Fotografie, Design, Bildhauerei, Film und Digitales genre- und mitunter auch zeitenübergreifend verrührt. Man kann im MoMA immer noch wie gewohnt in Monets grandiosem Seerosenteich baden. Aber beim Abtrocknen muss sich das Auge auf strikt Nicht-Impressionistisches einstellen: „Die Hängung”, sagt Temkin, eine der federführenden Kuratorinnen des vor bald 90 Jahren auch auf Initiative des Milliardärs Rockefeller eröffneten Hauses, „macht den Unterschied.”
Ans Althergebrachte gewohnte MoMAianer werden darum womöglich zucken, wenn sie neben Pablo Picassos Kubismus-Ikone „Les Desmoiselles d’Avignon“ aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts das Schusswundenblut, Tränen und Entsetzen festhaltende Werk von Faith Ringgold mit dem Titel „American People Series #2: Die” von 1967 erblicken. Oder van Goghs unverändert betörende „Sternennacht“ (1889) neben keramischen Schüsseln von Georg Ohr, der sich offenbar mit voller Berechtigung den „durchgeknallten Töpfer von Biloxi” nannte.
Museums-Shop mit Apple-Store-Chic
Bei einer ersten Begehung in der vergangenen Woche stöhnte eine brasilianische Kunstkritikerin scherzhaft auf: „Ohne Audioguide oder enzyklopädisches Wissen kann einem hier leicht schwindelig werden.” Diese Dissonanz aber, die abseits der fußläufigen Gratis-Galerien im Erdgeschoss, wo auch ein Apple-Store-Chic atmender Museums-Shop Platz fand, die Entrichtung von 25 Dollar fürs Tages-Ticket erfordert, ist gewollt. Jugendliche unter 16 haben freien Eintritt.
Alle sechs bis neun Monate, so MoMA-Direktor Glenn Lowry, ein Routinier im Entfachen von Hype und Begeisterung, sollen die ausgestellten Werke rotieren. Entweder in andere Kontexte. Oder zurück ins Depot. Dort warten mittlerweile rund 200.000 Objekte darauf, das Licht der von den Architekten Ricardo Scofidio und Liz Diller (plus Gensler) heller, freundlicher und geräumiger gestalteten Räume zu erblicken. Darunter ist viel neu angekaufte Kunst. Etwa aus Afrika. Und von Künstlerinnen. Deren Anteil in der ständigen Sammlung erreicht mittlerweile 30 Prozent.
Die Ausstellungsfläche selbst, die 2400 Kunstwerken gleichzeitig Entfaltung bietet, wuchs in der viermonatigen Arbeitsphase um 3700 Quadratmeter auf nun 16.000. Ob damit auch eine 30-prozentige Steigerung der jährlichen Besucherzahlen von rund drei Millionen einhergehen wird, die Hälfte davon kommt aus dem Ausland, will im MoMA so recht niemand beantworten. Vielleicht aus Sorge, dass der oft hoffnungslos überlaufene Kunst-Tempel, der mit seinen engen Rolltreppen ein bisschen an den Konsum-Palast Macy’s um die Ecke erinnert, abschreckend wirken könnte. In einer Metropole, die mit dem Guggenheim-, dem Whitney- oder dem im nächsten Jahr 150-jähriges Bestehen feiernden Metropolitan-Museum prächtige Alternativen anzubieten weiß, ist der Faktor der gefühlten Überfüllung nicht zu unterschätzen.
„Zwischen Suppendosen und fliegenden Untertassen”
Dass sich das neue MoMA als interdisziplinäres Wellness-Center für alle Sinne begreift, in der Kunst nicht mehr nur vorgesetzt wird, sondern erarbeitet werden soll, wird unter anderem im „Kreativitäts-Labor” auf der zweiten Etage spürbar. Hier können Laien nach getätigter Visite bei den großen Meistern selber malen, fotografieren, handarbeiten und zuweilen mit echten Künstlern für ein paar Stunden Atelier-Atmosphäre simulieren. Echte Frischluft gibt’s nach wie vor im kostenlos begehbaren Skulpturen-Garten, der inmitten der Lärm-Hölle Manhattans eine unerklärliche, balsamhafte Stille bietet. Zu den sehenswertesten Neuerungen gehört auf der vierten Ebene, wo Galerie-Räume so verwegene Titel wie „Zwischen Suppendosen und fliegenden Untertassen” tragen, die begehbare Klanginstallation „Regenwald V” von David Tudor. Ein kunterbunter Trumm aus Diesem und Jenem, an dem man sich auch nach zwei Stunden noch nicht satt gehört und gesehen hat. Auch das: Nichts für Gewohnheitstiere. Und nur bis Anfang 2020 zu sehen.