Bochum. Heiner Müllers „Hydra“ auf immer weiter vollgerümpelter Bühne – mit Sandra Hüllers Nachdenken über den Schauspielerberuf und immer neuen Rätseln.

Einen Klotz von einer Aufführung bringen Regisseur Tom Schneider und sein Star, die gefeierte Actrice Sandra Hüller, in den Bochumer Kammerspielen auf die Bühne. „Die Hydra“ nach Texten von Heiner Müller ist ein sperriges Stück, das packt und fordert – und die Zuschauer in einen überwältigenden Sog aus wuchtigen Bildern und satten Beats zieht. Man muss nicht alles verstehen, was hier passiert, aber kann sich ganz hervorragend darin treiben lassen.

Bereits in ihrer letzten gemeinsamen Arbeit „Bilder deiner großen Liebe“ nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf setzten Schneider und Hüller auf die Überwältigungs-Karte. Statt der Vorlage linear zu folgen drehten sie ihr Spiel zu einem wilden Mix aus Performance und Konzert, bei dem Hüller stimmstark an vorderer Front und die Musiker Sandro Tajouri und Moritz Bossmann mächtig Gas gaben.

„Schauspieler sind Durchgangszimmer für Gedanken“

Sandra Hüller
Sandra Hüller © Schauspielhaus Bochum | Thomas Aurin

Im Viererbund ist auch die neue assoziationsreiche Arbeit entstanden. Doch diesmal beginnt alles etwas entschleunigter. Die Musik hält sich merklich zurück. Nur ein paar Verstärker und Mikrofone im hinteren Teil der Bühne erzeugen surrende Feedback-Schleifen, während sich Hüller grundlegende Gedanken über das Wesen ihres Berufsstands macht. „Schauspieler sind wie Durchgangszimmer für die Gedanken anderer Leute“, sinniert sie halblaut vor sich hin.

Erst zögerlich, dann immer forscher nimmt die Aufführung Fahrt auf. Eine gute Stunde dauert es, bis der Bühnenbildner Michael Graessner sämtliche Einzelteile seines Bühnenbildes herbeigeschleppt hat. Eine komplette, offenbar vom Sperrmüll zusammengetragene Wohnung mit Küche, Couch, Fernseher, Orgel und sogar mit Zement-Maschine (Gruß an Heiner Müller!) entsteht hier. Hüller wandelt gedankenverloren durch die irgendwann heillos vollgerümpelte Kulisse, spricht bedächtig Müllers Text und ist auch dann noch eine Erscheinung, wenn sie einfach nur so dasitzt und sich ein Brot schmiert.

Eine Mischung aus Herakles, Sisyphos und Heiner Müller

Ähnlich wie bei Herakles‘ unermüdlichem Kampf gegen die vielköpfige Hydra, von dem Heiner Müller mit wie in Stein gemeißelten Worten erzählt, verhält es sich auch mit dieser Aufführung. Wann immer man glaubt, ein Rätsel entschlüsselt zu haben, tauchen irgendwo drei neue auf, ehe am Ende des knapp 80-minütigen Spiels die ganze Szenerie in einem gewaltigen Orkan aus Wind, Nebel und düsterem Licht dröhnend ineinander kracht. Das ist Hypnose und Zauberei in einem, sehenswert, aber anstrengend – und unterstreicht zudem Tom Schneiders Ruf als einen radikalen Freigeist der deutschen Theaterszene.

Termine und Karten: Tel. 0234 / 33 33 55 55; www.schauspielhausbochum.de