In die Tasten! Zwei Beethoven, ein Scarlatti – begeisternde neue Aufnahmen von Igor Levit, Kent Nagano und Mari Kodama sowie Lucas Debargue.
32 Klaviersonaten hat Ludwig van Beethoven geschrieben. Die Zahl der Plattenaufnahmen, die diesem Meilenstein pianistischer Weltliteratur gelten, ist ungleich höher. Da muss man schon einer von den Großen sein, um die Welt mit einer Einspielung noch aufhorchen zu lassen.
Igor Levit, 32 (!), ist es gelungen. Fans fieberten den neun CDs (Sony, ca 60€) entgegen. Nicht weniger tat es die Fachwelt, die in ihm, der neunjährig mit den Eltern aus Russland nach Hannover übersiedelte, schon vor Jahren den Besten seiner Generation sah. Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Was Levit zu einem Ausnahme-Künstler macht, spiegeln diese Sonaten-Deutungen aufregend: eine Technik, die keine Grenzen kennt (Levits Lieblingswerk ist ausgerechnet die mörderische Hammerklavier-Sonate), eine intellektuelle Durchdringung ohne musische Anämie – und eine Glaubwürdigkeit der Lesart, die uns selbst überraschende Tempi oder Pedaleinsätze umarmen lässt. Wer etwa hätte vor Levit bei den Triolen der Mondscheinsonate an die letzten Augenblicke des sterbenden Komturs in Mozarts „Don Giovanni“ gedacht? Wer eine starke Gesamtausgabe sein Eigen nennt (sei sie von Kempff, Arrau oder Pollini), wird vielleicht keinen Hunger auf eine weitere verspüren. Ein Geschenk bleibt Levits Paket doch: Beethoven lebt, genährt vom energetischen Strom und einer wohldosierten Pianisten-Poesie, deren intellektuelle Distanz weder zum Weichzeichnen verführt noch zum vorlauten Theaterdonner.
Beitrag zum Beethoven-Jahr ist ein echter Gewinn
Was Aufnahmen betrifft, wartet der Markt auch im Fall von Beethovens Klavierkonzerten nicht brennend auf Neues. Und doch ist diese, fürs nahende Beethoven-Jahr aus dem Archiv emporgestiegene, ein echter Gewinn: Die Zusammenarbeit des Künstler-Ehepaars Kent Nagano (Dirigent) und Mari Kodama (Klavier) beschert uns in ihrer pianistischen Wärme und in der Sinnlichkeit köstlich ausformulierter Orchesterdetails (Deutsches Symphonie-Orchester Berlin) einen Beethoven-Klang, der zu Herzen geht. Die langsamen Sätze gehören zum Schönsten, was in der Sparte aufgenommen worden ist. Neu in der bei Berlin Classics erschienenen Box (ca 20€): Das „Nullte“ – ein „halbes“ Konzert Beethovens, Ludwig war erst 13, und seine Noten existieren ohne Orchesterbegleitung. Charmant ist das nun aufbereitet, es gibt hörbar viel Mozart, im Final-Rondo aber doch derart clevere Überraschungen, dass man schon damals hätte wissen können: Da kommt ein Bonner, der die Welt verändert!
Debargue präsentiert Sonaten von Scarlatti
Im Dreiklang von Klavieraufnahmen, die uns aktuell begeistern, fehlt noch Lucas Debargue. Ihm, der mit 15 das Klavier in die Ecke schob und bei einer Rockband anheuerte, ehe er reumütig, aber zum Glück ungebrochen kantig zum Flügel zurückkehrte, verdanken wir fünf Stunden mit einem Komponisten, der mitunter vergessen wird, wenn wir von Pionieren der Sonaten-Kunst sprechen. Debargue, 28, der in Berlins Jesus-Christus-Kirche auf einen prachtvollen Bösendorfer 280 bauen kann und den akustischen Atem des Raums weit mehr nutzt als das Pedal, hat 52 Sonaten Domenico Scarlattis (Sony, ca. 27€) eingespielt. Das sind nicht mal zehn Prozent des bescheidenen Vielschreibers. Aber welchen Kosmos Debargue in den Miniaturen des Neapolitaners auslotet: Barock-Architektur und romantische Prophetie, brillante Raserei und traurige Weltversunkenheit. Man denkt an Vladimir Horowitz, der Scarlatti so liebte – und lauscht, dankbar dafür, dass die Fackel weitergereicht wird.