Essen. „Der Distelfink“ auf der großen Leinwand: Die Güte der Buchvorlage erreicht der Film zwar nicht, ist aber ein mutiges Projekt mit starken Bildern.
Für einen Regisseur ist es fast immer ein Wagnis, einen komplexen Roman verfilmen zu wollen, ohne jene zu enttäuschen, die ihn bereits gelesen haben. Der Ire John Crowley („Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“) wagt sich jetzt sogar noch weiter vor, denn Donna Tartts gut tausend Seiten schwerem Buch „Der Distelfink“ geht bereits so etwas wie kultische Verehrung voraus. Was nicht wenige US-Filmkritiker bereits dazu verleitet hat, akribisch Film mit Buch zu vergleichen. Um danach vom Fehlstart eines Oscar-Kandidaten zu sprechen.
Immerhin beginnt der Film tatsächlich mit der ersten Seite des Romans. Da hockt Theo Decker (als Erwachsener: Ansel Elgort), die zentrale Figur, in einem Amsterdamer Hotel und betrachtet die Blutstropfen auf seinem weißen Hemd. Wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nichts von diesem Menschen, nur, dass ihm seine verstorbene Mutter in diesem Zimmer ein letztes Mal erschienen sei. Die Mutter, an deren Tod er sich immer noch schuldig fühlt, seit sie Opfer eines Terroranschlags im Metropolitan Museum wurde. Er selbst war damals dreizehn Jahre alt (jung: Oakes Fegley), blieb verschont, stahl dabei jedoch das unversehrte Gemälde „Der Distelfink“, das seiner Mutter so viel bedeutet hatte.
Umfangreicher Entwicklungsroman
Als sei dieses Bild eine Art Fluch, ist von nun an Theos Leben nur noch von wenig Glück geprägt. Zwar nimmt ihn anfangs die betuchte Familie Barbour wie einen Sohn auf. Doch dann ist da plötzlich sein verschwundener Vater (Luke Wilson), der über seinen Sohn vergebens an das Geld seiner Frau kommen möchte. Er schleppt den Sohn in eine menschenleere Wüstensiedlung, wo Theo den gleichaltrigen Russenjungen Boris (Jung: Fin Wolfhard) kennenlernt. Durch ihn gerät er an Alkohol und Drogen, aber auch an die Sehnsucht nach einem wahren Zuhause. Er findet es bei dem Restaurator Hobie (Jeffrey Wright), dessen Beruf auch Theo schon immer fasziniert hat. Doch auch dort zeigt sich alsbald, dass ihn die Aufputschmittel nicht loslassen.
Donna Tartts umfangreicher Entwicklungsroman ist voll von Charakteren und Sprüngen in der Zeit. Während Crowley die verschiedenen Zeitebenen mit ihren Rückerinnerungen noch gut im Blick hat, macht ihm die ausladende Anzahl der Figuren schon eher zu schaffen. Das Drehbuch des Briten Peter Straughan will möglichst viele davon auftreten lassen.
Auslassung der Ich-Erzählung
Das jedoch bringt es mit sich, dass mancher kaum zur Geltung kommt. Nicole Kidman als Mrs. Barbour, die den jungen Theo wie einen Sohn betrachtet, kommt dabei noch am besten weg. Ihre Tochter, die Theo immerhin heiraten soll, hat da weniger Chancen. Noch weniger hat der rebellierende Sohn der Barbours, der mit einem Wutausbruch das gemeinsame Essen verlässt und danach nicht mehr gesehen wird.
Schmerzlich vermissen muss man hier auch die introspektive Ich-Erzählung der Hauptfigur, die dem Roman mehr als gutgetan hat. Aber was soll man hadern. Immerhin hat hier jemand Mut bewiesen, hat sich diesem großen Roman gestellt und ihn für das Kino gerettet, bevor wieder eine Miniserie daraus entstanden wäre.
So aber kann man sich auch noch an den Bildern des wunderbaren Kameramannes Roger Deakins („Blade Runner“) erfreuen.