Oberhausen. Ein Zufallsprodukt, das ein Bestseller wurde: „Der Struwwelpeter“ wird 175. Oberhausens Museum gratuliert mit einer großen Schau.

Wie es mit den Begabtesten so ist, sie haben meist die größeren Skrupel: „Ich hatte nicht im entferntesten daran gedacht, als Kinderschriftsteller und Bilderbüchler aufzutreten“ erinnert sich Dr. Heinrich Hoffmann, Psychiater aus Frankfurt. Da war es aber schon geschehen. Ein Gelegenheitswerk war längst Weltliteratur: „Der Struwwelpeter“.

Die Geburt findet 1844 statt, laut Hoffmann ein selbstgebasteltes Weihnachtsgeschenk (denn was er in Geschäften sah, „sagte mir wenig zu“) für den Sohn. Der 175. Geburtstag aber wird ab Samstag in Oberhausens Ludwiggalerie bildersatt gefeiert. Drei Etagen, über 200 Illustrationen, Bücher, Schaustücke, zu denen übrigens auch Porzellan zählt, obwohl das doch („Suppenschüssel ist entzwei“) im besagten Werk zuverlässig gefährdet ist.

„Der Struwwelpeter“ wird 175 Jahre alt. Oberhausens Ludwiggalerie widmet ihm eine große Ausstellung

Und lauter ehrgeizige Nachfahren: Es sind Manga-Zeichner und chinesische Verleger, Grafiker, solche, die ihn in die Niederlande schickten („Piet de Smeerpoets“) oder auf englischen Boden („Shock-Headed Peter“) und neulich Jan Böhmermann. Alle versuchten, in der berühmtesten pädagogischen Buchstabensuppe, die je aus freien Knittelversen gebraut wurde, noch ein Extra-Haar zu finden. Dabei war Hoffmanns Schöpfung fast uneinholbar rebellisch lockenvoll.

Und also ein Missverständnis ist die von den 68ern angeschubste These, die Welt von Suppen-Kaspar, Zappel-Philipp und dem zündelnden Paulinchen terrorisiere Kleine durch schwarze Pädagogik. Heute wissen wir: Gerade die krasse Übertreibung schenkte Kindern eine Wahrnehmung aus ästhetischer Distanz. „Ein geringeres Unglück wäre viel realistischer und darum furchteinflößender“, so die renommierte Kinderbuchforscherin Bettina Hurrelmann.

Der Autor des „Struwwelpeter“ Hoffmann wollte keine lieben Kinder zeigen

Aber Hoffmann trieb in seiner Drastik noch ein anderer Motor an: Er hatte die Vorbild-Bilderbücher seiner Zeit satt. Sie zeigten einzig liebe Kinder, gescheitelt, fromm, still. Davon, war sich Hoffmann sicher, lernt kein Knabe. „Sei still!“ bringe gar nichts, „aber das Abbild des Schmutzfinken, das Anschauen erklärt sich selbst und belehrt.“ Und so zerrte der Mann das ganze Biedermeier-Bild der Kindheit lustvoll vom gleichnamigen Sofa (Oberhausen hat ein entsprechend hübsches Zimmer dieser Epoche aufgebaut). Hoffmann zeigte – ungekannt im Bilderbuch bis dahin – Kinder, die aggressiv waren, (selbst-)zerstörerisch, rassistisch gar: „Die schrie’n und lachten alle drei/ Als dort das Mohrchen ging vorbei“. Hoffmann war damit auch der erste Kinderbuch-Erzähler, der dem Spott über eine andere Hautfarbe eine Lektion erteilte.

Seine Geschichte „von den schwarzen Buben“ beschert der Schau eines ihrer anrührendsten Exponate. „Es lief einst durch Johannisthal/ein junger Bub’ aus Senegal“ beginnt ganz harmlos Luise Bofingers Bilderzyklus. In memoriam gilt er allerdings Amadeu António Kiowa, erschlagen von Neonazis in Eberswalde. Er starb als eines der ersten Opfer rechter Gewalt nach dem Mauerfall.

Die Bandbreite der Struwwelpeter-Schau in Oberhausen reicht vom Original bis zur Manga-Version

Aber natürlich wartet auch viel Leichtes, das Wucht und Wirkung dieser Literatur illustriert, wozu wir neben vielen Motiv-Anspielungen (der Suppen-Kaspar an der Campbell-Dose, die Locken-Rebellion in „Hair“) bekannte Spötter wie F. K. Waechter zählen. Sein „Anti-Struwwelpeter“ lehrte auch Erwachsene das rechte Leben („später sind’s die Zigaretten,/ sind’s die Freuden in den Betten“). Weniger Kunst, doch handfester Witz waltet in Mathias Kringes „Star Wars“-Struwweliade: „Der Ewok sitzt im Blätterhaus/und lacht den Kopfgeldjäger aus.“

Werden nur wir Älteren damit etwas anfangen, die den Klassiker noch auswendig können. Nein! Man lausche nur dem Audio-Guide dieser von Linda Schmitz trefflich kuratierten Ausstellung: Oberhausener Kinder lesen vor: „Sieh einmal, hier steht er,/Pfui! der Struwwelpeter!“

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DATEN ZUR AUSSTELLUNG

Der Struwwelpeter. 22.9.19 - 12.1. 2020. Di-So, 11-18h, Ludwiggalerie. Konrad-Adenauer-Allee 46, Oberhausen, Tel. 0208-4124928. Eintritt 8, erm. 4 €. Sonntags 11.30h kostenlose Führungen. www.ludwiggalerie.de

Die Schau begleitet ein reiches Beiprogramm, etwa die Benefizlesung „Der revierdeutsche Struwwelpeter“ (6.11., 19h) und der große „Struwwel-Familientag“ am 13.10., 15-17h, und ein großes Extra-Angebot für Kinder.

Der Katalog zur Ausstellung hat 128 Seiten und kostet 29,80€