Dortmund. Orchester grandios, Titelheldin umjubelt: In Dortmunds hielt es bei der Premiere von „Madama Butterfly“ das Publikum nicht auf den Sitzen.

Wir schreiben das Jahr 2019, und ein amerikanischer Präsident ist verwundert, dass man so etwas wie Grönland nicht einfach kaufen kann. Eine Groteske aus der Tagesschau verleiht der 115 Jahre alten „Madama Butterfly“ die Flügel schönster Zeitgenossenschaft. Und Regisseur Tomo Sugao denkt gar nicht daran, diese Flügel zu stutzen. Sugao, in Japan geboren, inszeniert Puccini sehr heutig, bisweilen angestrengt überdeutlich. Die paar Buhs, die es für ihn gab, gingen Sonntag im Premierenjubel ziemlich unter.

Alles ist Japan auf dieser Bühne – und nichts davon ist mehr echt. Alle Kultur, alle Werte: längst verramscht, inszeniert, kommerzialisiert. Was in „Madama Butterfly“ 1904 angelegt war, erzählt dieser Abend exzessiv als Bestandsaufnahme unserer Tage. Musste es nicht so kommen? Bereits bei Puccini verhöhnt das hegemoniale Amerika die fragile Kultur Nippons: Ein US-Leutnant kauft sich diese Butterfly als erotisches Spielzeug. Er wird weiterreisen, während sie – ein Kind unter dem Herzen – seinen leeren Sprüchen auf Wiederkehr glaubt. Hoffnung: ein ewiges Begräbnis.

Dortmunds Opernsaison eröffnet mit Puccini. Das Premieren-Publikum ist über die musikalische Leistung aus dem Häuschen

Auf den ersten Blick lässt Frank Philipp Schlößmanns Bühne dem Trug eine Chance. Es sieht ja aus wie immer im sensiblen Kosmos der papierenen Shoji-Wände. Aber das täuscht. Amerikanisiert, alles: im weiß-rot-blauen Würgegriff des US-Sternenbanners sind Kimono und Jimbei. Die Welt, die für Leutnant Pinkerton aufmarschiert, ist ein Disney-Asien, in dem sogar die verehrten Ahnen allein im Kitsch winkender Glückskatzen Ruhe finden.

Die Regie bei „Madama Butterfly“ in Dortmund zeigt einen spannenden Ansatz, doch die Inszenierung ist aufdringlich

Der Ansatz ist treffsicher, Sugaos Durchführung allerdings aufdringlich. Dringend hätte diese Deutung Strenge gebraucht, Ruhe, Ökonomie. Fein gearbeitet ist das selten. Die Regie prasst mit einem Grundeinfall, der nie aufhört, Dollars unters Volk zu werfen und mit der Dauerproduktion von Besatzer-Selfies (das ist nun wirklich ausgelutscht) die individuelle Welteroberung zu illustrieren. So wird der gereckte Arm der amerikanischen Freiheitsstatue, die Sugao und Schlößmann vielfach bemühen und gar Butterflys Söhnchen zum Spielzeug geben, zum erhobenen Zeigefinger dieses Abends. Mehr Reiz hat das früh eingeführte Doppelgänger-Motiv: Sugao lässt Pinkertons amerikanische Frau früh (und im Brautkleid) durch Butterflys Welt geistern. Das pantomimische Fehlgeburt-Intermezzo dazu? Verzichtbar.

Trotz mancher Wucht, trotz menschlicher Materialschlacht (Sumo-Ringer, dazu Dortmunder Bodybuilder als Martial Arts-Truppe): Die menschliche Tragödie setzt sich wacker gegen überehrgeizige Tableaus durch. Das ist vor allem das Verdienst Anna Sohns. Ihre Butterfly-Studie einer Unrettbaren ist in der Verpuppung von demütiger Liebe zum Wahn absolut anrührend. Nach anfangs leichter Nervosität zeigt ihr Sopran betörende Farben, die noch im großen Pathos das Pastell der Zerbrechlichkeit bergen. Andrea Shins straffer, zugleich eleganter Tenor ist stimmlich ein Pinkerton nach Maß – ein Widerspruch zu seiner enervierenden Stummfilm-Mimik. Mit der Wucht von Isoldes Brangäne zeichnet Hyona Kim Butterflys Dienerin mit reichem Ausdruck.

Berauschend gut erfühlen Dortmunds Philharmoniker die Tiefe der Partitur. Mit Gabriel Feltz gehen sie (in allen Orchestergruppen hochkultiviert) raffiniert, nie aber unterkühlt auf Distanz zu Puccinis Schein-Folklore, zeigen feinste kammermusikalische Schattierungen, geben aber auch dem Erzromantischen nach, wo Puccini sich vor dem „Tristan“ verneigt. Fabelhaft!