Essen/Mülheim. Wolfram Eilenberger: Gründungs-Chefredakteur des „Philosophie“-Magazins, Autor, streitbarer Fußball-Kolumnist – und neuer Stadtschreiber Ruhr.
Wolfram Eilenberger hat auf umtriebige Weise dafür gesorgt, dass er als Berufsbezeichnung „Philosoph“ angeben kann, ohne dass jemand sein Adress-Schild auf einem Elfenbeinturm vermuten würde. Während ein Philosophie-Studium früher entweder die Grundlage für eine Universitätsprofessur oder für einen Taxischein bildete, tummelt sich der Gründungs-Chefredakteur des „Philosophie“-Magazins mit der einer Promotion über den Kulturbegriff des hochkomplexen russischen Strukturalisten Michail Bachtin auf diversen Feldern der öffentlichen Meinungsbildung: als „philosophischer Korrespondent“ des konservativ-liberalen Polit-Magazins „Cicero“, als „Ethikrat“-Kolumnist in der Wochenzeitung „Die Zeit“ und auf ihrer Online-Ausgabe mit der monatlichen Fußballkolumne „Eilenbergers Kabinenpredigt“.
Der 1972 in Freiburg im Breisgau geborene Eilenberger, der es in jungen Jahren gern zum Fußballprofi gebracht hätte, ist im Besitz eines DFB-Trainerscheins. Der bekennende Videobeweis-Gegner und FC-Bayern-Fan kennt deshalb durchaus die Stadien des Ruhrgebiets – aber mehr auch nicht davon. Das wird sich in den kommenden Monaten ändern, denn ab Oktober übernimmt Eilenberger das Amt des Stadtschreibers Ruhr, das die Brost-Stiftung finanziert und besetzt.
Klare Worte und meinungsstark
Auf die Frage, warum er denn von Berlin in die Stadtschreiber-Wohnung nach Mülheim zieht, sagt Eilenberger: „Mich interessiert vor allem dieser Prozess der Transformation, der ja uns in allen westlichen Gesellschaften bevorsteht. Da ist das Ruhrgebiet ein Laboratorium, da findet eine Operation am offenen Herzen statt.“
Seine Frau, die ehemalige finnische Basketball-Nationalspielerin Pia Päiviö, war ebenfalls sehr angetan von der Chance, gemeinsam mit den Kindern Deutschland besser kennenzulernen. Eilenberger war in den vergangenen 15 Jahren viel unterwegs, lehrte etwa von 2010 bis 2012 Philosophie an der Universität im kanadischen Toronto und lebte auch in Kopenhagen.
Bestseller-Erfolg in mehreren Ländern
Eilenberger ist ein Freund klarer Worte und meinungsstark. So bescheinigte er Borussia Dortmund in der Klopp-Ära „sektenähnliche Züge“ und löste mit seinem Zeit-Online-Artikel „Handball – Alternative für Deutschland“ heftige Proteste aus mit der Gleichung „Wenn Fußball Merkel ist, dann ist Handball Petry“.
Aktiver Kicker
Wie sein V orgänger Lucas Vogelsang ist auch Wolfgang Eilenberger Mitglied der deutschen Autorennationalmannschaft: „Ich genieße es, ich bin jetzt 47, da kann ja jedes Spiel das letzte sein!“
Deren nächstes Spiel wird zur Frankfurter Buchmesse angepfiffen – es geht gegen die Autorenmannschaft des Buchmessen-Gastlandes Norwegen.
Einen aufsehenerregenden Bucherfolg landete Eilenberger vor einem Jahr mit dem Band „Zeit der Zauberer“ über „das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929“, wie es im Untertitel heißt. Der Titel landete nicht nur auf den deutschen, sondern auch auf spanischen und italienischen Bestseller-Listen und brachte ihm den Bayerischen Buchpreis ein. Eilenberger charakterisiert darin vor allem die Denker Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Martin Heidegger und Ernst Cassirer.
Das Ruhrgebiet mit dem Fahrrad erkunden
Und mit den Augen von Walter Benjamin möchte Eilenberger auch durch das Ruhrgebiet gehen, weil der Kulturkritiker im absichtslosen Flanieren „ja oft in winzigen Details den Schlüssel für das Verständnis des Ganzen gefunden hat.“ Der Fußball hingegen ist für Eilenberger „vielleicht gerade nicht der Weg, sich das Ruhrgebiet zu erschließen. Ich verstehe ja die Philosophie als Anreicherung meiner Wahrnehmung. Und deshalb möchte ich auch an Orte kommen, die gar nicht unmittelbar am Weg liegen.“ Das gehe, so viel habe er schon festgestellt, im Ruhrgebiet vielleicht besser mit dem Fahrrad als mit dem Auto oder gar mit Bussen und Bahnen. Denn wer mit der Bahn durchs Revier reise, könne schnell die Schattenseiten dieser Fortbewegungsart erleben.