Mülheim. Auf der Mülheimer Freilichtbühne stellte Helge Schneider sein neues Programm vor: Warum der Musiker so schräg, so komisch und so erfolgreich ist.
„Das nächste Lied ist wieder mit Musik“: Da ist er wieder, der absurde Humor des Helge Schneider. Quäkstimme und knallbunte Krawatte, ein Butler, der Kamillentee auf dem Silbertablett serviert, Gastauftritte weltberühmter Musiker („Carlito stammt aus Venezuela, da kann er nicht er mehr hin - er nervt“): Auf der Mülheimer Freilichtbühne stellte der fit gebliebene 64-Jährige sein neues Programm „Pflaumenmus“ vor, im Gepäck die neuen Songs des neuen Albums „Partypeople (beim Fleischer)“. Ein großer Spaß – und mehr als das: Denn in Wahrheit ist Helge Schneider der letzte große Welterklärer, der Sigmund Freud der Generation Kim Jong Trump, der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele. Er weiß es nur selbst noch nicht
„Dance to the Music (music is the language)“ mit John-Travolta-Spagat
.„Wo ist die Party?“, ruft also Schneider in die Menge, und die Menge antwortet – „Hier ist die Party!“ Eine Party mit durchsichtigen Regencapes und wärmenden Sitzkissen auf der einen Seite und mit Hüftkreisen auf der anderen: „Dance to the Music (music is the language)“ ist eines der frischen Werke, vorgetragen mit Quetschkommodenstimme und John-Travolta-Spagat und einem in die Höhe gereckten Zeigefinger – hey, hier bin ichichich! Damit hat Helge Schneider den Kern jedes Dancefloors so treffsicher erfasst, wie er den Kern jeder Volte der jüngeren Musikgeschichte trifft. Ob er steppt wie Fred Astaire, o-la-la-lautmalerisch chansonniert wie Charles Aznavour oder mit dem weltbesten, jetzt aber leider etwas abgerockten Geigenspieler („Trinkt die Geige denn auch?!?“) irisch fiedelt: Schneider zerrt ans Licht, wie die Kunst auf die Welt reagiert hat, wie sie sich diese Welt schön gedudelt oder ihre hässlichen Seiten angeprangert hat.
Peter Maffay, der ist ja so klein, der darf gar nicht ohne seine Eltern verreisen!
Mit Hendrix-Perücke und Sixties-Geschrömmel findet Schneider zu der Zeile „Die Sonne scheint – nur zum Schein“, und das ist allereinfachste, allerkomplexeste Philosophie. Wenn Schneider spielt, dass er einen spielt, der etwas spielt, dann bleibt er dabei bei aller Bissigkeit den Menschen zugewandt, sogar den kleinsten: Peter Maffay, der sei ja so klein, der dürfe gar nicht ohne seine Eltern verreisen!
Das ist nicht nur reines Lächerlichmachen. Sondern die Entscheidung, einfach anders auf die Welt zu blicken. Die natürlich schrecklich ist, das wischt auch ein Helge Schneider nicht mal eben so weg. Alle haben Angst, klar: „Angst, etwas zu verpassen oder eine verpasst zu kriegen.“ Oder Angst zum Beispiel vor einem Kometen: „Wenn der Komet kommt“ (noch ein neuer Song), ja, was ist denn dann? „Dann kommt der Komet!“ Was direkt weniger bedrohlich klingt, wenn die Botschaft begleitet wird von zupfiger Jazz-Mucke.
Der musikalische Sundowner „Lonely Pony“ – das einsamste Brauerei-Pferd der Welt
Oder das Brauerei-Pferd, das ganz alleine auf der Wiese steht, alleine unter Dressurpferden und den alten Recken von der Trabrennbahn – das Brauereipferd, das den Menschen „Bier und Tod“ brachte, das ist eben so im Leben, und jetzt von den anderen geschnitten wird aber irgendwie auch selbst schuld ist, weil es sich gar keine Mühe gibt ins Gespräch zu kommen: Eine solche Story also mündet in den musikalischen Sundowner „Lonely Pony“ (auch neu, und „Carlito“ spielt so Flöte, dass man sofort versteht, warum Venezuela ihn auch nicht mehr will). Klar kann man sich schon mal Leben gemobbt fühlen. Helge Schneider aber mobbt zurück, das ist der Unterschied: Prockelt mit dem Finger in den Wunden, am tiefsten in den eigenen (nein, die Story mit den pubertären Eiterpickeln ist an dieser Stelle wirklich zu eklig) und lässt auf dem größten Mist die schönsten musikalischen Blüten sprießen.
In der Wundertüte des Lebens ist manchmal eben nur Puffreis
Zwar hat die Nebelmaschine von Helene Fischer nicht funktioniert, dennoch ist der Song „Wundertüte (ja ja die)“ der Hit des Abends, ein Ohrwurm mit Orgelbegleitung: Die Wundertüte des Lebens, die manchmal eben nur ein, zwei Päckchen Puffreis enthält und ein kaputtes Auto – so, wie es dem kleinen Helge einst als Kind ging („Spendenkonto wird eingeblendet“). Da hat er eben mit 17 oder 18 oder vielleicht doch mit 16 die ersten Songs geschrieben, und die sind immer noch gut! Auch „Katzenklo“ und „Wurstfachverkäuferin“ und „Disco Disco“ erleben wir aufgepeppt mit frischen Stories, die von der mageren Rente einer grauhaarigen Katzenbesitzerin handeln oder von einer Schlägerei mit Türstehern. Nach so vielen Bühnenhits darf man natürlich in den Star-Modus fallen, und Schneider tut das mit Verve: „Ihr seid toll, äh“ – (ein Blick in die Handfläche) „Mülheim“!
Und selbst wenn Schneider über das Wetter plaudert – erst regnet es nicht, dann wird es dunkel, „Wie geil ist das denn!“ –, oder wenn er einfach mal so ein „LOL!“ von der Bühne bellt, dann kommt diese Mimikry eines spracharmen Umgangs miteinander durchaus liebevoll daher. So seid ihr, zeigt Helge Schneider uns, so sind wir, aber solange wir über uns selbst noch lachen können, ist alles in Butter (reimt sich auf: Mutter).