Bochum. Sie ist der Hamlet am Bochumer Schauspielhaus – und für ihre Penthesilea-Rolle wurde Sandra Hüller zum dritten Mal zur Schauspielerin des Jahres.
Wenn Sandra Hüller, ganz in Schwarz und mit kurzem blonden Haar, in ihrer Hamlet-Rolle den berühmtesten Satz der Theatergeschichte leichthin wie einen verzagten Seufzer, wie im Vorbeibeigehen in
den Raum kullern lässt, dann steckt darin auch der Abgrund eines vergeblichen Kampfes: „Ja, Claudius, sein oder nicht sein: Das ist die Frage“, das kann eben doch wie eine Lebens-Entscheidung im 21. Jahrhundert klingen. Und da kommt wieder zum Vorschein, was die Kunst der Sandra Hüller ausmacht: Dass diese 1,73-Meter-Frau mit den graublauen Augen aus Rollen, aus Figuren eigentlich immer Menschen mit einer ungeheuren Präsenz macht, mit einer bedrängenden Gegenwärtigkeit.
Das gilt ja nicht nur für den Hamlet in Johan Simons‘ Bochumer Inszenierung des Shakespeare-Klassikers, es gilt auch für die Amazonenkönigin Penthesilea, die sie schillern lässt wie nur wenige, stolz sein auf ihre Kraft, ihr Können, schnell im Denken, kokett im Flirten, gierig im Begehren. Was Johan Simons, ihr Regisseur, da ihr und ihrem Bühnenpartner Jens Harzer zumutet, ist allerdings fast unmenschlich: Das ganze Textmassiv, das sonst auf ein ganzes Ensemble verteilt ist, wird als Dialog dieser beiden gesprochen, die sich liebend zerfleischen, Bisse und Küsse nicht nur im Binnenreim eins werden lassen.
Johan Simons lockte sie schon nach München – und jetzt nach Bochum
Dass Sandra Hüller für diese gewalttätige, aber auch gewaltige Rolle von der Zeitschrift „Theater heute“ nach 2010 und 2013 nun schon zum dritten Mal zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt wurde, ist alles andere als ein Zufall. Auch vor sechs Jahren war Johan Simons ihr Regisseur, noch an den Münchner Kammerspielen, wo er sie im Jahr zuvor hingelockt hatte. Und dieser durch und durch erfahrene Theater-Titan ist eben immer noch hingerissen von seiner Entdeckung, weil Sandra Hüller, die er einen „Schatz mit großem Herzen” nennt, weil sie „nicht nur für sich selbst auf der Welt und auf der Bühne ist.”
Als Ines Conradi in Maren Ades „Toni Erdmann“
Die meisten Zuschauer aber kennen die 1978 in Thüringen geborene und dort aufgewachsene, vom Mauerfall geschockte Sandra Hüller, die auch hinreißend sächseln kann, als Tochter von Toni Erdmann aus dem gleichnamigen Oscar-Kandidaten von Maren Ade. Und auch das muss man ja erst einmal schaffen: Das Kontrastmittel zu bleiben für diesen bedenkenlosen Unsinntreiber, in dem der grandiose Peter Simonischek steckt. Sandra Hüller als Hyperkapitalistin Ines Conradi, als selbstvergessene Unternehmensberaterin, die dann aber doch lernt, mal aus der Rolle zu fallen - auch da ist die so ganz anders denkende und fühlende Sandra Hüller eine Idealbesetzung.
Schon als Schülerin brannte sie fürs Theater; der Lehrzeit als jüngste Elevin an der renommierten Schauspielschmiede Ernst Busch folgten erste Ensemble-Engagements in Jena, Leipzig und dann Basel. Fast schon beängstigend: Ihre Doppelbegabung für die Bühne und den Film. Dreimal hat man ihr den Deutschen Filmpreis verliehen, unter anderem für „Über uns das All”, den Silbernen Bären der Berlinale für die beste Schauspielerin hat sie bekommen und den Europäischen Filmpreis für ihre Ines Conradi in „Toni Erdmann”.
„Requiem“, „Anonyma“ und eine verfilmte Geschichte von Clemens Meyer
Dabei wählt sie ihre Rollen sehr bewusst aus, es blieb bei einem einzelnen „Polizeiruf”, dafür spielte sie aber in in Hans-Christian Schmids „Requiem”, in der „Anonyma”-Verfilmung der schrecklichen Nachkriegstagebücher einer missbrauchten Frau und „In den Gängen” nach einer Geschichte von Clemens Meyer, den sie so gern liest. Seit 2008 war Sandra Hüller auch immer mal wieder Gast der Ruhrtriennale. Und mit der laufenden Spielzeit gehört die Mutter eines Kindes nun zum Ensemble des Bochumer Schauspielhauses, nachdem sie eine ganze Weile frei gearbeitet hat.
Und in der Tat: Sandra Hüller, die von Kolleginnen und Kollegen als ungewöhnlich empathisch beschrieben wird, bei aller Präsenz ihrer Figuren, sogar im Dialog noch eine geborene, mindestens aber überzeugte Teamplayerin. Deshalb genießt sie es auch, dass die Schauspieler in der aktuellen Hamlet-Inszenierung nicht nach hinten abgehen, sondern in der ersten Reihe Platz nehmen. Zugucken, auch das eine Leidenschaft: „Ich gehe ja selbst so gern ins Theater“, sagt sie, „und hier muss ich noch nicht mal Geld dafür bezahlen“.