Taylor Swift ist die erfolgreichste US-Sängerin der letzten Jahre. Auf ihrem Album „Lover“ bezieht sie nun klare Positionen – endlich.
„The Man“ heißt der vierte von satten 18, stilistisch ein weites Feld umreißenden Songs auf dem neuen Album „Lover“, und in dieser grundharmonischen, die Ohren sogleich beim ersten Hören infiltrierenden Nummer stellt sie sich halt mal vor, wie es so wäre, ein Mann zu sein. Oder genauer: Wie es wäre, wenn sie, Taylor Swift, ein Mann wäre: „I’d be a fearless leader. I’d be an alpha type“, singt Swift, sie würde dann als furchtloser, mutiger Visionär und als Alpha-Männchen gelten. „Alle meine Entscheidungen, meine Fehler, meine Erfolge würden anders betrachtet, wenn ich keine Frau wäre“, sagte die 29-Jährige denn auch jüngst einem US-Modemagazin.
Taylor Swift äußert sich also dezidiert feministisch. „Endlich“, möchte man ihr zurufen. Aber nicht zu spät. In einer Welt, in der einiges ins Wanken geraten ist, setzt der Superstar Pflöcke als mündige, meinungsstarke Bürgerin. So lässt sie etwa im Video zum aktuellen Hit „You Need To Calm Down“ bekannte Gesichter aus der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Transgender- und Queer-Gemeinde auftreten.
Taylor Swift ist gegen jede Form der Diskriminierung und für Gleichberechtigung
Wer es noch nicht geschnallt haben sollte, weiß jetzt: Swift, in Nashville eher in eine etwas konservative Welt hineingeboren, ist gegen jede Form der Diskriminierung und für Gleichberechtigung in allen Belangen. Im vergangenen Jahr verdammte sie Marsha Blackburn, die republikanische Senatskandidatin für Tennessee, als diese sich im Wahlkampf geringschätzig gegenüber nicht-heterosexuellen Partnerschaften äußerte. Donald Trump schimpfte daraufhin auf Twitter, nun möge er Swifts Musik um 25 Prozent weniger, allerdings immer noch ganz schön gern.
Sie stand denn auch lange im Verdacht, eine unausgesprochene Trump-Anhängerin zu sein. Dabei hatte sie es nur vermieden, vielleicht auch versäumt, klar Stellung zu beziehen. Taylor Swift hat Macht. In den USA noch deutlich mehr als in Europa. Mehr als 120 Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram. Was sie sagt, hat Gewicht. Und stärker noch als ohnehin progressive Künstlerinnen wie Lady Gaga hat Swift auch Einfluss auf jene Klientel, die nicht unbedingt urban und modern lebt und denkt. Immerhin hat dieses Mädchen früher Countrymusik gemacht, bevor ihr dieses Korsett zu eng wurde und sie anfing, auf ihren Alben „Red“ (2012, „I Knew You Were Trouble“) und mehr noch auf „1989“ (2014, „Shake It Off“) den Pop zu umarmen – freilich immer noch mit starkem melodischen Kern und stets maßgeblich, oft genug vollständig von ihr alleine komponiert.
2006 landete sie mit dem ersten Album „Taylor Swift“ gleich ganz oben
Taylor Swift wurde ja lange belächelt. Als hochaufgeschossenes, putziges Wunderkind mit den niedlichen Songs, das 2006 mit dem ersten Album „Taylor Swift“ gleich ganz oben landete. Als das Girl, mit dem man sich als Junge besser nicht einlässt, weil es sonst ein fieses Lied über dich singt. Teilweise wurde Swift wegen ihrer Songs auf die Schippe genommen, während man einen Mann für seine Emotionalität wohl gefeiert hätte. Tatsächlich basieren Taylors Texte oft auf Tagebucheinträgen, das macht ihre Songs seit jeher verletzlicher und roher als die ganzen anderen Nummern, die in Hitfabriken in L.A. oder Nashville zusammengeschustert werden. Seit ein paar Jahren jedenfalls hält Swift sich nicht mehr höflich zurück. Sie siegt, ein Jahr vor #MeToo, vor Gericht gegen einen Radio-DJ, der sie bei einem gemeinsamen Foto befummelte. Sie beklagt sich öffentlich darüber, dass Scooter Braun, der Manager von Justin Bieber und Ariana Grande, ihre frühere Plattenfirma „Big Machine“ und damit auch die Rechte an ihren alten Songs kaufte, was geschäftlich nicht zu beanstanden, aber für Swift unschön ist. Gefragt, warum sie ihren Katalog nicht einfach selbst gekauft hätte, antwortete sie, sie investiere lieber in die Zukunft als in die Vergangenheit.
Nach 200 Millionen verkauften Alben und mehreren Rekordtourneen steht Swifts Vermögen derzeit bei geschätzten 325 Millionen US-Dollar. Und sie hat wohl endlich einen Schlussstrich unter die Dauerfehde mit Kanye West und seiner Frau Kim Kardashian gezogen, die Swift vor drei Jahren als Lügnerin und „Schlange“ brandmarkte. Die Details sind nicht mehr so wichtig, doch Swift fühlte vor den Augen der Welt an den Pranger gestellt. Das düstere Album „Reputation“ (2017) war ihre Art, die Demütigung zu verarbeiten, „sonst wäre meine psychisches Wohlbefinden ernsthaft in Gefahr gewesen.“
Auf „Lover“ räumt Taylor Swift nun auf. Sich selbst, ihr Leben, ihre Karriere. Die Schlange verwandelt sich im pastellfarbenen Video zur ersten Vorab-Single „ME!“, einem etwas überdrehten Bubblegum-Pop-Duett mit Brendan Urie von Panic At The Disco, in einen Schmetterling. Im „You Need To Calm Down“-Clip inszeniert sie die Versöhnung mit Kollegin Katy Perry. Irgendwie wusste keine der beiden mehr so richtig, warum sie sich eigentlich mal zerstritten hatten, die Botschaft hinter der Umarmung (Swift als Fritten, Perry als Burger): Frauen, lasst das mit dem Konkurrenzdenken. Seid solidarisch. Wir sind es auch.
Taylor Swift spricht über ihre Liebe zu dem britischen Schauspieler Joe Alwyn
Hervorstechendstes Merkmal der Swift’schen Häutung indes ist die Innigkeit und Offenheit, mit der sie über ihre Liebe zu dem britischen Schauspieler Joe Alwyn spricht. Hielt sie sich in privaten Dingen früher notorisch bedeckt, und sang höchstens über Beziehungen, die schon wieder zu den Akten gelegt waren, so sprudelt das Verliebtsein jetzt förmlich in Versform aus ihr heraus: „Das Album ist ein Liebesbrief an die Liebe in all ihrer Glorie“. In „London Boy“ adressiert sie Alwyn direkt, „Cornelia Street“ handelt von Swifts damaliger Wohnung in jener Straße in Manhattans West Village, wo sich die beiden anfangs heimlich trafen, „Paper Rings“ trägt das Siegel der Verbundenheit bereits im Titel. „I’ve loved you three summers now, honey, but I want them all“, singt Swift in „Lover“, und „All’s well that ends well to end up with you“, also sinngemäß: „Bursche, dich lass ich nie wieder los.“ Musikalisch ist „Lover“ ein echter, zurückhaltender, gefühlsintensiver Genuss. Spärlich instrumentiert mit Drums und Piano, produziert mit ihrem langjährigen Arbeitsfreund Jack Antonoff, hört sich die Nummer richtig schön nackt und nahbar an. Der alte Country-Einfluss ist ein bisschen wieder da, „Lover“ erinnert fast schon an Alternative-Künsterinnen wie Feist oder St. Vincent. Und auch „The Archer“, eine zum wohligen Schaudern anregende, ruhige Synthie-Pop-Ballade, hat Klasse.
Am 13. Dezember wird Taylor Swift 30 Jahre alt. Es sieht sehr deutlich danach aus, als werde sie den runden Geburtstag als genau die erwachsene Frau zelebrieren, die sie schon länger sein will und die sie nun endlich auch ist.