Essen. Von zwei Schwestern, die die Literatur ihrer türkischen Heimat bekannter machen wollten: Vor 15 Jahren wurde das Festival Literatürk gegründet.

Literatur ist ein Stück Heimat. Was aber, wenn kaum jemand diese Heimat teilt, sie gar nicht kennt, nicht versteht? Oder wenn man selbst die Sprache der fernen, fremdgewordenen Heimat kaum noch beherrscht? Die Schwestern Semra und Fatma Uzun haben schon als Kinder und Jugendliche gerne und viel gelesen – und schlagen seit 15 Jahren mit dem Literatürk-Festival eine Brücke zwischen der Türkei und Deutschland. „Wir fanden es einfach schade“, sagt Semra Uzun-Önder, „dass in Deutschland höchstens ein, zwei türkische Schriftsteller bekannt sind“.

Eine klassische Einwanderer-Geschichte aus dem Ruhrgebiet

Ende der 70er-Jahre zieht die Familie Uzun von Trabzon am Schwarzen Meer um; Semra (Jahrgang 1974) und Fatma (Jahrgang 1981) wachsen in Duisburg auf: der Vater arbeitet als Bergmann, die Mutter zieht vier Kinder groß. Eine klassische Einwanderer-Geschichte, die später dann türkischstämmige Autoren wie Feridun Zaimoglu und Selim Özdogan erzählen sollten. Autoren, die die Schwestern kennen und schätzen – und gerne bekannter machen wollen. Nur wie?

Die Festival-Idee wird geboren und findet mit Johannes Brackmann einen erfahrenen Mitstreiter: Den Leiter des Kulturzentrums Grend in Steele hatte Pädagogik-Studentin Semra während eines Praktikums kennengelernt. Gemeinsam gründen sie nun das Literatürk-Festival, das schon im ersten Jahr nicht nur türkischstämmige Autorinnen und Autoren aus Deutschland präsentiert, sondern auch Schriftsteller aus der Türkei ins Ruhrgebiet holt. „Unserer Grundidee sind wir bis heute treu geblieben“, sagt Fatma Uzun: „Es gibt bei uns keine rein türkischen Lesungen, wir lassen Werke, die es noch nicht auf Deutsch gibt, selbst übersetzen.“ Damit kommen die Festivalmacher auch jenen entgegen, die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben – „und die ihre Muttersprache gar nicht mehr so gut beherrschen, dass sie die Literatur im Original lesen könnten“.

Vom türkischen Festival zur internationalen Bühne

Da dies nicht nur für die türkische Community im Ruhrgebiet gilt und auch die Literaturen anderer Länder in Deutschland kaum wahrgenommen werden, hat sich das Festival geöffnet: „Wir sind ein internationales Festival“, sagt Brackmann. So war im vergangenen Jahr die gefeierte Deutsch-Georgierin Nino Haratischwili ebenso zu Gast wie der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk, der in der Lichtburg las. „Wir haben einerseits den Anspruch, unbekannte Autoren bekannter zu machen“, so Brackmann: „Andererseits muss man das Publikum auch mit bekannten Namen locken.“

Mit zunehmender Festivalgröße erreichen die Literatürk-Macher heute längst Anfragen noch unpublizierter (Revier-)Autoren – ein Umstand, den demnächst ein neues, ganz eigenes Format würdigen soll, so Fatma Uzun. Wenn im November mit einer Gala in der Zeche Carl das 15-jährige Bestehen gefeiert wird, zeigt der Blick zurück also einerseits eine Erfolgsgeschichte. Andererseits lässt sich am Festival ein Stück Politik-Historie ablesen, so Semra Uzun-Önder: „Viele Autoren, die wir in unseren Anfängen aus der Türkei eingeladen haben, leben heute in Deutschland“ – weil sie in ihrem Heimatland unterdrückt oder verfolgt wurden.

Den modernen Migrationsbewegungen trägt denn auch die 15. Festival-Ausgabe Rechnung: „Irgendwas mit Heimat“ lautet der feinironische Titel.