Gelsenkirchen. „Ohne meine Tänzerinnen und Tänzer bin ich nichts“, sagt der neue Ballettchef des Musiktheaters im Revier – und spricht über Tänze, Träume, Pläne
Ein deutsches Wort spricht Gelsenkirchens neuer Ballettchef bereits besonders makellos aus: „Feldmark“. Dort, ganz nah am Theater, hat Giuseppe Spota schon eine Wohnung bezogen. Und Deutsch lernte er dieser Tage, da das Musiktheater im Revier Sommerferien macht, im Crash-Kurs. Als Lars von der Gönna den freundlichen Apulier zum Willkommens-Interview traf, war es mit der Kommunikation freilich noch ein Tänzchen. Aber zwischen Englisch, Italienisch und Deutsch trat doch reichlich Interessantes zu Tage.
Sie büffeln deutsche Vokabeln, dabei ist Ihr Medium Tanz doch eine Sprache über alle Grenzen hinweg.
Spota (lacht) Für den Tänzer, der ich war, stimmt das ganz sicher. Aber als Ballettdirektor muss ich einfach sprachlich fitter sein, ich hab’ es ja künftig mit wichtigen Institutionen und ihren Vertretern zu tun, da will ich präzise verstehen – und verstanden werden. Aber so schwierig ist das gar nicht, die Grammatik ist der Italienischen recht ähnlich.
Sie kommen mit einem kräftigen Rückenwind, Ihre Inszenierung der Glass Oper „Echnaton“ in Dortmund wurde stürmisch gefeiert. Sie sind der erste Gelsenkirchener Ballettchef, der mit einer Opern-Regie als Visitenkarte antritt. Haben Sie die Dortmunder Arbeit unter dieser Perspektive erlebt?
Die Arbeit war echt wichtig. Wir sind hier Nachbarn zu Dortmund. Klar, versuche ich überall meine Bestes zu geben, wo immer ich arbeite. Aber hier war mir klar: Man wird sehr genau registrieren, wie das gelingt. Das war meine Präsentation. Da fällt einem ein Stein von Herzen, wenn es 15 Minuten Premierenapplaus gibt. Es war ja meine erste Opernregie überhaupt.
Sie fangen hier bei Null an, es ist Ihre erste eigene Compagnie. Wie lief die Auswahl der Truppe ab?
Es war richtig was los hier. 200 Leute haben sich beworben, sie sind alle hier gewesen, haben getanzt. Wir haben 14 Stellen, alle neu zu besetzen! Der Andrang hat mich überwältigt, ich bin da sehr offen hineingegangen. Wir haben von morgens bis abends durchgearbeitet, nonstop.
Auf was achten Sie, wenn Sie Tänzer auswählen? Was mögen Sie, was nicht?
Was ich nicht mag? Diven, Selbstdarsteller, sehr arrogante Tänzer, selbst wenn sie gut sind! Bei der Auswahl gibt es viele Faktoren: die Physis, der Ausdruck, die Stilvielfalt im Sinne der Bandbreite. Aber schon wie jemand den Ballettsaal betritt, lese ich in ihm, versuche zu erkennen, ob es passt oder nicht. Von den 200 blieben relativ schnell 60: die „Highlights“. Mit denen haben wir dann intensiver gearbeitet. Dann blieben 30 – und dann kam das Wichtigste: Sprechen. Wenn man miteinander redet, erfährt man alles, vor allem nach einem langen Tag – man ist kaputt, verliert Kontrolle und zeigt, was man nicht mehr verbergen kann oder will. So kam ich zu den 14 Tänzerinnen und Tänzern, die das Publikum ab September am „MiR“ erleben wird.
Was ist das eigentlich: eine Ballett-Compagnie?
Am Ende geht es darum eine Gemeinschaft zu bilden, die etwas von einer Familie hat. Da sind die Sanften, die Mutigen, die Schwierigen... Diese Verschiedenheit ist etwas Kostbares. Aber ich bin der, der dieses Gefüge in Harmonie und Balance zu halten hat.
Als man Sie vor Jahren in einem Interview nach Ihrem Traum gefragt haben, sagten Sie: „Eine eigene Compagnie!“ Sie sind am Ziel. Was nun?
Gute Frage! Erst war ich Tänzer, dann auch Choreograph. So kam dieser Traum. Jetzt halte ich den Traum fest in meinen Händen: er ist wahr! Ich bin echt ziemlich aufgeregt. Es ist etwas sehr Wertvolles, etwas mit viel Verantwortung! Ich muss beweisen, dass ich das kann. Das bedeutet: nicht nur gute szenische Arbeit hier. Die überregionale Tanzszene soll wissen: In Gelsenkirchen gibt es richtig was zu sehen.
Dieses Haus hatte nie ein klassischer „Schwanensee“-Image. Das kommt Ihnen zupass...
Ja, und es soll noch offener werden. Auch unser Name ist neu: „MiR Dance Compagnie“. Nicht Ballett, Tanz! Tanz kann alles sein, vielleicht auch an Orten, wo Menschen sind, die keinen Zugang zum Theater haben. Das kann draußen sein, am Bahnhof, in einem Krankenhaus, einer Schule – wird werden sehen.
Sie haben sich als „Blaubart“ in Wiesbaden den bedeutendsten Theaterpreis ertanzt. Wie war das?
Ich hab’s nicht erwartet, ehrlich! Ich fand es schon Wahnsinn, dass ich für den „Faust“ nominiert war. Wissen Sie, ich habe Tänzer werden wollen, seit ich ein Kind in Bari war. Das war das Ziel, aber kein Preis. Und als dann mein Name aufgerufen wurde, der rote Teppich, meine aus Bari angereisten Eltern im Saal: der aufregendste Moment meines Lebens!
Ändert ein Preis etwas?
So ein Preis ist eine Ehre, er ändert zwar die Außenwahrnehmung, aber die eigentliche Aufgabe ändert er nicht: Nämlich mit meiner Emotion und meinen Visionen das nächste gute Tanzprojekt in die Tat umzusetzen.
Europas Tanzszene hat ein Thema zuletzt sehr beschäftigt: Jener unnachgiebige Drill im Ballett, der auf dem Weg zur Spitzenleistung bis an die Grenze der psychischen Zerstörung gehen kann. Was ist Ihr Weg, das Beste aus einem Tänzer herauszuholen?
Wissen Sie, eines ist immer in meinem Kopf: „Vergiss nicht, woher du kommst!“ Ich war ja selbst Tänzer und weiß nur zu gut, wie sensibel dieses Instrument ist, das unser Körper darstellt. Ich versuche also, Tänzer sehr gezielt zu pushen, die richtige Ansprache zu wählen. Ich als Ballettdirektor muss ein Vorbild sein, gerade, wenn anderen die Energie ausgeht. Wie soll ich mitreißen, wenn ich meiner schlechten Laune nachgebe oder lustlos auf die Probe komme? Denn eines muss mir immer klar sein: Ohne meine Tänzerinnen und Tänzer bin ich ein Niemand.