Salzburg. Evgeny Titov beeindruckte mit Inszenierungen am Düsseldorfer Schauspielhaus. Jetzt hat er in Salzburg Gorkis „Sommergäste“ auf die Bühne gebracht

Das Schauspiel bei den 99. Salzburger Festspielen steht unter einem guten Stern. Zumindest gab’s bislang in diesem Sommer noch keinen Flop. Im Gegenteil: Die 2017er-Inszenierung von „Jedermann“ im Investment-Banker-Milieu mit Tobias Moretti (u.a. mit Peter Lohmeyer und Gregor Bloéb) hat sich erneut bewährt. Und nach Thomas Ostermeiers durchwachsener, historisierender Inszenierung von Horvaths „Jugend ohne Gott“ (in der Rolle des Lehrers: der Dortmunder „Tatort“-Kommissar Jörg Hartmann) kam es jetzt auf der Perner-Insel außerhalb von Salzburg zu einem packenden Theaterabend: Maxim Gorkis „Sommergäste“ inszeniert Evgeny Titov als bedrohlichen Abgesang auf bürgerliche Konventionen und die hohle Spaß- und Party-Gesellschaft. Einen Überraschungs-Erfolg kann Evgeny Titov verbuchen; denn erst vor knapp sechs Wochen sprang er ein für die renommierte Regisseurin Mateja Koleznik.

Bekannt wurde der 38-jährige Wahl-Berliner – geboren in Kasachstan, Schauspieler in St. Petersburg, Regie-Student am Wiener Max-Reinhardt-Seminar mit Abschlussarbeit am Wiener Burgtheater – durch zwei Inszenierungen am Düsseldorfer Schauspielhaus. Nach Arthur Millers „Hexenjagd“ (2018), die bundesweit wegen ihrer packenden Schauspieler-Führung gelobt wurde, folgte im Februar die Dramatisierung von Bulgakows Roman „Hundeherz“.

Sein untrügliches Gespür dafür, Darsteller zu unverwechselbaren, überspitzten Charakteren zu machen, das richtige Wechselspiel von Tempo und Langsamkeit und ein sicheres Gefühl für Bühnen-Räume – all diese Vorzüge, die sich in Düsseldorf abzeichneten, kann Titov auch in der ehemaligen Salinen-Halle auf der Perner Insel in Hallein in die Waagschale legen. Er und Raimund Orfeo Voigt (Bühne) entwerfen verschiebbare Räume mit Holzlamellen, die langsam aber sicher immer enger werden, die die degenerierte Society während einer Techno-Party einzwängt, am Ende den teilweise lebensmüden Figuren die Luft abschnürt. Zusammen mit einem Ensemble namhafter Mimen gelingt eine festspielwürdige Inszenierung, die Titov den endgültigen Durchbruch bescheren könnte.

Gorki kritisiert das erstarrte Großbürgertum

Einziges Manko (wie häufig in altem Industrie-Gemäuer): die Akustik. Sei’s drum: Titovs Talent für großes Drama, Spannung und sensible Personenführung bleiben unverkennbar – bereits vorher entdeckt von Opernintendanten in Wiesbaden und Berlin (Komische Oper), wo der akzentfrei deutsch sprechende Russe 2020/21 als Opernregisseur debütieren wird.

Mit „Sommergäste“ – 1904, kurz vor den russischen Revolutionen (1905 und 1917) uraufgeführt – kritisierte Maxim Gorki scharf den damals erstarrten, stehen gebliebenen Adel und das Großbürgertum. Heute, so will Titov zeigen, sind wir alle gemeint, der sogenannte gut situierte Mittelstand. Warwara, Rechtsanwalts-Frau (Genija Rykova), und Dichter Jakow (Thomas Dannemann) durchschauen die Lage – „Wir langweilen uns zu Tode“, heißt es. Die reife, frustrierte Ärztin Maja (Marie-Lou Sellem) indes begehrt den Jung- Rebellen Wlas (Paul Behren), wehrt sich zunächst, bis sie einwilligt: „Ich bin ausgehungert“. Die Ingenieurs-Frau Julija (Dagna Litzenberger Vinet) tänzelt, zappelt und will mit Sex die Langeweile vertreiben. Nervensägen hier, skurrile Typen dort – wie Onkel Semjon (Martin Schwab), der mit einer Geldtasche, gefüllt mit einer Million, herumläuft und sie möglichst nicht seinem Neffen Pjotr vererben will. Titov bietet nicht nur ein breitgefächertes Panoptikum von schillernden, manchmal schrägen Typen mit klaren Konturen.

Es gibt noch Tickets

Mehr noch: Mit Bravour gelingt es ihm und den Schauspielern, den quälenden Überdruss nicht langweilig wirken zu lassen. So war am Ende die Begeisterung groß.

Termine: 2. bis 8. August. Tickets: www.salzburgerfestspiele.at