Gelsenkirchen. Ihre Ära war ein Glück für die ganze Region. Nun zieht Gelsenkirchens Ballett-Direktorin weiter. Ein Abschiedsgespräch mit Bridget Breiner.

Ein rauschendes Fest hat das Musiktheater im Revier seiner scheidenden Ballett-Direktorin zum Abschied gegeben. Zu Recht. Das oft inflationär gebrauchte Wort von der „Ära“ darf man im Falle Bridget Breiners ernst nehmen. Sieben Jahre prägte die Amerikanerin markant die Ballettszene der Region – und weit darüber hinaus. Lars von der Gönna traf sie zum Gespräch.

Als Sie in Gelsenkirchen anfingen, haben Sie sich zu einem hübschen Kompliment hinreißen lassen: „Ich war überrascht, wie gut es mir hier gefällt!“ Was sagen Sie dem Revier nun zum Abschied, Frau Breiner?

Breiner: Zum Abschied kann ich sagen, warum es mir gefällt. Zum Beispiel, weil es bei den Leuten eine extrem große Offenheit für Kunst gibt. Ich hatte das so nicht erwartet. Da war keine Ablehnung, keine Reserviertheit, wenn auf der Bühne etwas Neues kam – da war stattdessen Neugier, Spannung und eine Haltung wie „Warum nicht?“

Sie hatten in Stuttgart gearbeitet, in München: Kunstmetropolen...

Genau, und ich habe auch so gedacht: Man muss in einer Metropole sein, um überhaupt Kunst machen zu können, aber die Zeit hier hat mich das Gegenteil gelehrt. Es gab keine Vorurteile, die Menschen sehen sich das erst einmal an – ohne vorher zu richten. Das hat sicher auch mit der enorm reichen Kulturlandschaft hier zu tun. Für den Tanz hat mich besonders gefreut, dass ich nie den Druck verspürt habe, dass die Zuschauer etwas unbedingt „so und so“ erwarten – ein echtes Glück.

Es zieht Sie in den deutschen Süden und wer weiß, wohin noch in Ihrer Karriere. Eine Erinnerung an das Revier wird in Ihrem Familienbuch ganz gewiss bleiben – denn hier ist der Geburtsort Ihres Söhnchens. Wenn er Sie in 20 Jahren fragt „Wo bin ich eigentlich geboren?“, was sagen Sie dann William Oliver?

Das ist eine sehr schöne Frage. Ich denke in diesen Tagen oft darüber nach, denn alle seine Eindrücke bislang sind hier entstanden: unsere Wohnung, die wir gerade räumen, dieses Theater, in dem er in jedem Raum mit seinen „Aah“-Rufen lachend die Akustik ausprobiert. Er guckt interessiert die berühmten Yves-Klein-Reliefs im Foyer an – eine tolle Sache für ihn. Er durfte bei Proben dabei sein. Tja, dieses Musiktheater, das Ruhrgebiet: Es ist wirklich sein Anfang.

Und was sagen Sie, wenn er fragt: „Mama, was hast Du da erlebt?“

Dass es für mich ein ganz großes Erlebnis war, einen Ort zu haben, wo ich meine eigenen Ideen verwirklichen konnte – und musste. Musste, weil dieses „Liefern“ natürlich auch ein Zwang ist, wenn man das Ballett an einem Theater leitet. Ich war ja vorher im Schwerpunkt aktive Tänzerin.

Auch die besten Tänzer und Choreographen taugen nicht unbedingt zum Ballettdirektor. Das Musiktheater im Revier war ihre erste Chefposition. Kannten Sie Zweifel?

Ehrlich: Ich hatte wirklich Angst. Die Unsicherheit, ob ich das kann, war groß. Ich wusste ja aus Stuttgart, was man als Tänzer und Choreograph braucht, um glücklich zu sein. Aber nun war ich es, die dafür gerade stand. Aber dieses Haus hat mich dabei unglaublich unterstützt. Hier gab es nie einen Zweifel, dass Kunst an sich das Wichtige ist – und das Publikum trug diesen Geist mit.

Sie sind Ihrem Naturell nach alles andere als autoritär. Trotzdem muss man Boss sein...

Es fällt mir immer noch sehr schwer. Für dieses Amt habe ich auch Charakterzüge bei mir entdeckt, von denen ich gar nichts wusste. Ich möchte Menschen mögen, möchte höflich sein, nett. Aber wenn ich merke, dass es nicht funktioniert, kann ich extrem hart sein. Weil ich es so selten bin, hat es den Effekt, dass mein Verhalten dann viel extremer ankommt: Die Menschen erwarten das nicht von mir. Ich lerne auf diesem Gebiet noch. Ich muss meine Ziele klarer formulieren, damit nachher niemand überrascht ist von dem, was von ihm verlangt wird.

Sie haben dem Haus große Erfolge beschert, holten zwei Mal den „Faust“ an die Ruhr. Was bedeuten Preise Ihnen?

Preise sind eine Anerkennung für die Arbeit. Es ist toll, dass unsere Arbeit wahrgenommen wird. Aber ich bin wirklich die Letzte, die daraus ableitet, besser als andere zu sein. Und mein eigener Anspruch ist ohnehin sehr hoch, immer, ob man nun einen Preis eingeheimst hat oder nicht. Und man darf auf keinen Fall zulassen, dass ein Preis hemmt – dass er einen unguten Druck bedeutet nach dem Motto: Na, wie steigert man das nun? Auf unser Niveau achten wir ja selbst schon genug. (lacht)

Gelsenkirchen war die letzte Wirkungsstätte, die Sie auch als Tänzerin erleben durften. In Karlsruhe ist nun Schluss damit...

So sieht es aus. Mein Fuß ist einfach kaputt. Ich trainiere, aber Tanz auf der Bühne, danach sieht es nicht mehr aus. Und: Ich habe zwei riesige Jobs – Ballettdirektorin und Choreographin. Das ist ja wirklich genug.

Ihre Kunst ist immer auch ein Spitzensport, der Opfer fordert: Jeder Tänzer kennt Schmerzen. Das Publikum aber bestaunt seine scheinbare Schwerelosigkeit. Wird das Schöne also mit Schmerz erkauft?

(lacht). So könnte man sagen, aber ist das nicht eine Metapher für das Leben an sich?

Sie haben enorm viel Erfahrung. Welche unbequeme Wahrheit muss ein junger Menschen kennen, der zum Ballett will?

Dass die Konkurrenz extrem ist. Es gibt so viele. Und dass man Absagen nicht gleich auf die Leistung beziehen darf. Für junge Tänzer ist das extrem hart. Aber Rat von außen hilft da nichts. Das muss man selbst erleben.

Mehr als die Hälfte Ihres Lebens sind Sie nun in Deutschland zu Hause. Wo ist Ihre Heimat?

Schon hier. Heimwehgefühle gibt es vielleicht, wenn sie mit Kindheit zu tun haben. Aber meine Eltern haben unser Haus in Ohio nicht mehr, es gibt kein Kinderzimmer mehr, kein „Thanksgiving“. Das macht die Sache mit der Heimat etwas leichter.

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BREINER GEHT, SPOTA KOMMT

Schon mit 17 kam Bridget Breiner nach Deutschland, um ihre in Amerika begonnene Tanz-Karriere voranzutreiben. Ihr erstes Engagement hatte sie am Staatsballett München. 1996 ging sie zu Reid Anderson ans Staatsballett Stuttgart. In dieser Zeit wurde sie deutschlandweit als herausragende Tänzerin gefeiert. Später war sie beim Ballett der Semperoper engagiert. Sie leitet mit Beginn der neuen Spielzeit nun das Ballett des Staatstheaters Karlsruhe.

Nachfolger am Musiktheater im Revier ist der Italiener Giuseppe Spota. Er wechselt von Mannheim ins Revier. Auch ihn werden wir im Interview vorstellen.