Essen. Auch 75 Jahre nach dem Attentat auf Hitler ist Claus von Stauffenberg umstritten: Biografien von Thomas Karlauf und Sophie von Bechtolsheim.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Mann, der vor 75 Jahren die Bombe unter Hitlers Kartentisch im Führerquartier der Wolfschanze platzierte, war in seinem Denken und Handeln zeitlebens von Lebenswelten bestimmt: Von der Tradition einer alten Adelsfamilie, vom Geist des Offizierscorps – und von der Bindung an den Dichter Stefan George. Aus dieser Beobachtung hat der Publizist und Historiker Thomas Karlauf abgeleitet, dass es letztlich die Begeisterung für Georges Gedichte war, die den Ausschlag gab für Stauffenbergs Entschluss, Hitler zu töten.
Lange Zeit, so schreibt Karlauf in seinem sorgfältig recherchierten, gut in die Zeit eingebetteten „Porträt eines Attentäters“, waren die Ziele des Nationalsozialismus für Stauffenberg, den Spross eines alten Adelsgeschlechts von der Schwäbischen Alb, mit seinen Idealen vereinbar. Schließlich bot die hastige Aufrüstung der Nazis, die Umwandlung der Berufsarmee Reichswehr in eine Streitmacht mit Wehrpflichtigen, dem Offizier Stauffenberg, der 1926, vier Wochen nach seinem Abitur, die Soldatenuniform übergestreift hatte, unerwartet rasche Aufstiegs-Chancen.
Stauffenbergs Wende im Sommer 1942
Erst seine schwere Verletzung in Afrika und die anschließende Genesungs-Phase, so Karlauf, habe ihn ins Grübeln gebracht. Bis August 1942 fänden sich „in den authentischen Quellen keine Belege, dass Stauffenberg ein Komplott gegen Hitler in Erwägung gezogen hätte.“ Erst in dem Sommer sei ihm aufgegangen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, dass er nicht auf die angekündigte Neuordnung Europas, sondern auf den Untergang des deutschen Volkes hinauslief und mit verbrecherischen Mitteln geführt wurde.
Für Karlauf und seine Methode sind die „authentischen Quellen“ entscheidend. Er macht geltend, dass ein Großteil der nach dem Krieg erschienenen Erinnerungsliteratur eingefärbt sei von Wunschbildern, von Projektionen des demokratischen Nachkriegszustands auf die Zeit des Krieges. So beschränkt er sich weitgehend auf Quellenmaterial, das aus der Zeit vor dem Attentat stammt (abgesehen von den „Kaltenbrunner-Berichten“ über die Vernehmungen der Attentäter als „Spiegelbild einer Verschwörung“).
Mit der Zeit wechselt das Bild
Ganz anders kommt eine Antwort auf Karlaufs Buch daher, die Stauffenbergs Enkelin Sophie von Bechtolsheim verfasst hat. Sie beruft sich vor allem auf die Erinnerungen ihrer Großmutter Nina Stauffenberg, die nach dem Attentat das KZ Ravensbrück überlebte und im Alter von 93 Jahren starb. Bechtolsheim, die ihren Großvater nicht als „Attentäter“ gesehen wissen will, weil der Begriff heute von ideologisch verblendeten Terroristen geprägt sei, räumt ein, dass Stauffenberg zunächst kein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei, aber auch kein Anhänger.
Karlauf dagegen zweifelt etwa die Nachkriegs-Erinnerungen an, denen zufolge Stauffenberg am 30. Januar 1933 in Bamberg „zufällig“ in eine Freudenkundgebung auf dem Maxplatz geraten war.
Wache am Totenbett von Stefan George
Claus von Stauffenberg war mit 15 Jahren, gemeinsam mit seinem älteren Bruder Berthold, in den Geheimbund-Kreis um den weltentrückten Dichter Stefan George eingeführt worden, der von elitärem Denken durchdrungen war und Männer fast so sehr liebte wie seine Verse. Beide Stauffenbergs wachten 1933 in Georges Todesstunden an seinem Bett und kümmerten sich noch 1938 um sein Erbe.
Vom „Verrräter“ zum Vorläufer der parlamentarischen Demokraten
Karlaufs Rekonstruktion ist plausibel, auch wenn sie überdeutlich unter dem Eindruck seiner eigenen George-Biografie steht. Sie dürfte aber nur der vorläufige Endpunkt einer wechselvollen Geschichte des Stauffenberg-Bildes sein. Wehrmachts-Offiziere der Nachkriegszeit prägten das Bild vom „Verräter“, um vom eigenen Versagen abzulenken. Es dauerte bis in die 50er-Jahre, ehe den Witwen der Attentäter eine Rente zugestanden wurde, die alte Nazis längst bezogen. Bis in die 60er-Jahre wurden die Attentäter eher pflichtschuldig zu Vorkämpfern einer neuen Demokratie stilisiert, bevor sie in den 70er-Jahren zu Helden aufstiegen. Zuletzt wurde der Blick auf die Männer des 20. Juli wieder skeptischer, Stauffenberg habe „für die parlamentarische Demokratie zeitlebens nur Verachtung übrig“ gehabt, schrieb etwa der britische Historiker Richard Evans vor zehn Jahren, er sei „als Vorbild für künftige Generationen schlecht geeignet“.
Karlauf hingegen attestiert Stauffenberg eine Haltung und eine handelnde Konsequenz, die auf höheren Werten beruhte. Wenn auch denen eines heillos abgehobenen Dichters.