Bonn. Tigerfell, Handtuchkrieg und die entsteinte Königskrone: Das Haus der Geschichte zeigt, dass wir viel mehr an den Briten hängen als umgekehrt.
Über dieses Tigerfell wird so schnell niemand mehr stolpern, denn es liegt jetzt hinter Glas, am Ende des sehr britischen Ausstellungsparcours im Bonner „Haus der Geschichte“. Das Tigerfell und Freddie Frinton, der als Butler James im „Dinner for One“ elf Mal darüber stolpert, auch sie sind „very british“ – in den Augen der Deutschen. Auf der Insel kennt diesen Sketch, der zum bundesrepublikanischen Silvestermobiliar gehört, bis heute kaum jemand.
Ein treffliches Symbol für das eigenwillige Verhältnis zwischen Deutschen und Briten, das auch in dieser materialreichen und doch kurzweiligen Ausstellung von besonders vielen Einseitigkeiten geprägt ist. Die Deutschen, könnte man sagen, bewundern die Briten für ihre Einzigartigkeit, besonders wenn sie ans Spleenige, ja Bizarre grenzt. Jenseits des sprichwörtlichen Humors also solche Dinge wie die monarchische Fassade der ältesten Demokratie, Schokolade mit Pfefferminzcreme-Füllung oder hochmotorisierte Geheimdiensttägigkeiten von sportlich veranlagten Gentlemen.
Umgekehrt dienen die Deutschen meist dazu, das britische Bedürfnis zu bedienen, sich ein bisschen zu gruseln. Dann marschieren die Deutschen wieder hakenkreuzgeschmückt als die „Huns“, die Hunnen, und errichten ein „Viertes Reich“, wie es sich die besonders holzschnittverliebte Boulevardpresse aus der Londoner Fleet Street nach der deutschen Wiedervereinigung lustvoll ausmalte.
Der „Mythos Colditz“ als Brettspiel zum Nazi-Gruseln
Nur gut, dass die Briten längst selbst über ihre Obsession lachen können – aber viele Deutsche werden in der Bonner Ausstellung zum ersten Mal vom „Mythos Colditz“ hören, einem Schloss in Sachsen, in dem britische Offiziere während des Zweiten Weltkriegs interniert waren – und über 300 Mal auszubrechen versuchten. „Ausbruch aus Colditz“ gibt es sogar als Brettspiel vom gleichen Hersteller wie „Monopoly“, mit Hakenkreuz-Karten, Mensch-ärgere-Dich-nicht-Püppchen und Rot-Kreuz-Päckchen. Bücher, Filme, Papierflugzeuge halten den Mythos bis heute am Leben, ebenfalls einseitig: Jenseits des Ärmelkanals.
Im „Handtuchkrieg“ auf den Balearen, der sich 1987 mehr noch in den Boulevardblättern beider Länder als an den Pools von Mallorca abspielte, zeigte sich allerdings auf beiden Seiten eine hartnäckige Entschlossenheit zum Humor. „Ich war vor den Deutschen am Pool (und ich habe gefrühstückt!)“ steht auf dem Handtuch der „Sun“, der Kölner Express („die schnelle Zeitung aus dem Rheinland“) hielt mit „Sorry, dieser Liegestuhl gehört heute mir“. Der Widerstand gegen die deutsche Wiedervereinigung war allerdings eine Sache der Presse und der politischen Eliten – die britische Bevölkerung war, zeigten Umfragen, zu 70 Prozent dafür.
Das entsteinte Gerüst der Königskrone
Schließlich gibt es ja auch gemeinsame Wurzeln – die des britischen Königshauses in Hannover zum Beispiel. In Bonn ist allerdings das entsteinte Gerüst der Krone zu sehen, mit welcher der Kurfürst zu Hannover 1714 zum König von Großbritannien und Irland gekrönt wurde. Symptomatisch allerdings: Der pragmatischen Queen Victoria war diese pomphaft-umständliche Krone einfach zu schwer; sie ließ die Edelsteine aus dem Geschmeide herauspulen und in ein wesentlich leichteres Modell einsetzen, das bis heute als „Imperial State Crown“ seine Dienste tut.
„Queenfieber“ in Deutschland beim elftägigen Besuch von Elizabeth II.
Queen Elizabeth II. wiederum begegnet einem in der Ausstellung als jene blutjunge, herzensfreundlich wirkende Frau, die Bundespräsident Theodor Heuss beim ersten England-Besuch 1958 so gar nicht wie einen ehemaligen Weltkriegs-Feind empfing. So brach dann sieben Jahre später bei Elizabeths Gegenbesuch ein wahres „Queenfieber“ in Deutschland aus, das ja immer noch von rund 50.000 Soldaten der Britischen Rheinarmee besetzt war (bis 2020 sollen alle abgezogen sein). Im Stahlwerk von Duisburg-Huckingen etwa durfte ein Lehrling der Königin eine selbstentworfene Sonnenuhr überreichen.
Dazu noch Charles und Diana, Harry und Megan – die deutsche Besessenheit vom britischen Königshaus mag vom eigenen Mangel an royalem Gepränge gespeist sein, sie ist jedenfalls eine Konstante, 60 Illustrierten-Titelbilder von der Krönung Elizabeths bis zu den jüngsten Windsor-Sprösslingen („Hurra, es ist ein Sohn“!“) zeugen in Bonn davon.
Shakespeare fehlt, Trautmann, Klinsmann und Kevin Keegan sind dabei
Doch die Ausstellung beginnt mit einem Ende: „Klack“ macht die Countdown-Uhr, und schon wieder ist es eine Sekunde weniger bis zum Brexit. Die Deutschen trauern schon jetzt den Briten hinterher, auch so ein Ungleichgewicht. Ein anderes hat den Sound der Beatles und der Rolling Stones: Dass deutsche Musik in London Furore machte, ist seit Händels Zeiten kaum mehr vorgekommen. Das ist die einzige Lücke dieser abwechslungsreichen Ausstellung: Sie reicht kaum einmal mehr als anderthalb Jahrhunderte zurück – dass ein Shakespeare schon zu Sturm-und-Drang-Zeiten Goethes wie ein deutscher Autor behandelt wurde und bis heute der meistgespielte auf deutschen Bühnen ist, kommt ebensowenig vor wie der Kolonialismus, der ja das Fundament der britischen Besonderheit bildet, weil man sich nach wie vor als Teil einer erdumspannenden Einheit namens Commonwealth fühlt.
Monty Pythons „Always Look On The Bright Side Of Life“
Dem Mutterland des Fußballs und des Wembley-Tors ist ein eigener Raum gewidmet; der beginnt mit der Gründung des Dresden English Football-Clubs im Jahr 1874, präsentiert einen Endspiel-Ball von ‘66 und erinnert an den Torwart Bert „Traut the Kraut“ Trautmann und Jürgen Klinsmann ebenso wie an Kevin Keegan, die im jeweils anderen Land Fuß fassten.
Dass die Ausstellung Hand und Fuß hat und mit Herz und Hirn zu vereinen weiß, zeigt sich dann ganz am Schluss: Während eine Winke-winke-Elizabeth II. byebye sagt, pfeift sich aus einem Lautsprecherchen Monty Python eins dazu: „Always Look On The Bright Side Of Life“ – der Blick auf die helle Seite des Lebens lässt vermuten, dass es auch eines nach dem Brexit geben wird.