Oberhausen. In der ausverkauften Arena Oberhausen gab Udo Lindenberg ein bombastisches Konzert – und berührte mit einer stillen, eindringlichen Botschaft.

Es sind die stillen Momente im großen Musikzirkus, die das Herz einer Show verraten. Was soll ein Musiker machen, wenn er das halbe Jahrhundert vollendet hat – so „intime, besinnliche Abende“ wie Charles Aznavour? Musiker Udo Lindenberg, nunmehr 73 Jahre alt, steht mit seinem Schlapphut, mit seinen knallgrünen Socken, seinem Glitzergürtel und dieser hyperentspannten Unterlippe auf der Bühne.

Gerade hat er davon gesungen, wie „Lady Whisky“ ihn einst beinahe umbrachte, hat sich mit „Mein Body und ich“ nackig gemacht vor den 12.000 Fans in der ausverkauften Oberhausener Arena: Hätte auch anders ausgehen können mit dem einst dauerfeiernden Panikrocker, aber noch müssen sie da oben auf ihn warten – der Jimi Hendrix und die Amy Winehouse und alle, die zu früh gingen. Nö, der Udo, der rockt weiter, ein nuschelnder Guru im Kreise der Familie. „Nimm dir das Leben/Und lass es nicht mehr los“ ist sein Rat, und an seiner Seite steht eine, die mindestens genauso cool ist: Rockgitarristin Carola Kretschmer, nur zwei Jahre jünger als Lindenberg und eine der vielen treuen Begleiter.

Mit Hut, Glitzergürtel und grünen Socken: Lindenberg in Oberhausen.
Mit Hut, Glitzergürtel und grünen Socken: Lindenberg in Oberhausen. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

Udo Lindenberg begann mit „Woody Woody Wodka“ und der „Honky Tonky Show“

Diese rotzige „Ich mach’ mein Ding“-Haltung ist es, die an diesem Abend gefeiert wird – und die noch die schrägsten Grillen, die skurrilsten Einfälle im milden Licht des Mitfühlens erscheinen lassen. Beinahe überfallartig beginnt die bombastische Show, unerwartet pünktlich um exakt eine Minute nach acht – da sind manche der Fans noch gar nicht am Platz, dank umständlich verschlungener Wegführung und ausführlicher Taschenkontrolle.

Auf der großen Videowand donnern allerlei Flugobjekte vom Himmel heran, ein Feuerwerk knallt, und unter Blitz und Donner des Udoversums schwebt Lindenberg herein. „Woody Woody Wodka“ und die „Honky Tonky Show“ überrollen die Zuschauer geradezu mit dem ganz großen Konzert-Besteck – Tänzer, Sänger, das Panikorchester und die herzigen Junioren der Düsseldorfer „Kids on Stage“, ein perfekt choreographiertes Chaos.

30 Songs singt Udo Lindenberg in Oberhausen

Bei besagtem „Mein Ding“ und dem herzerwärmenden „Durch die schweren Zeiten“ offenbart sich das musikalische Übergewicht von Schlagzeug und Bass, das wird besser werden im Laufe der nächsten zweieinhalb Stunden. 30 Songs an diesem Abend, das ist auch ein Statement: Uns Udo, dem geht die Puste nicht aus, seit Jahrzehnten nicht! Noch immer dampft der „Sonderzug nach Pankow“, ist „Alles klar auf der Andrea Doria“ – „Ich bin immer noch hier“, nuschelt Lindenberg in der „Sternenreise“, ein Gänsehautmoment mit Handy-Sternen-Meer aus dem Publikum.

Allzuviel Nostalgie verhindert die Kreativität der Panik-Mannschaft: Das „Cello“ begleiten saloonfähige Gitarren, die „Bunte Republik Deutschland“ wird mit Ole Feddersen zur Rap-Nummer, neben Sängerin Nina Bredehorn eine der herausragenden Stimmen des Abends.

Die „Fridays-for-Future“-Proteste umarmte Lindenberg mit warmen Worten

Bisschen ärgert Lindenberg sich auch, „dass ich das immer noch singen muss“ – „Wozu sind Kriege da“ zum Beispiel oder den Umwelt-Song „Ratten“, flankiert von Ekelbildern und einer verbalen Umarmung der „Fridays-for-Future“-Proteste; manche Themen wollen einfach nicht vergehen. Da muss Udo eben den Bono machen (von U2), den swingenden Gutmenschen: „Die Menschheit muss den Krieg beenden, bevor der Krieg die Menschheit beendet“ – sind so Sätze, die verzeiht man auch nur einem Panikrocker.

Udo Lindenberg mit den Sängerinnen Nina Bredehorn (li.) und Nathalie Dorra sowie den „Kids on Stage“ als Udo-Doppelgänger.
Udo Lindenberg mit den Sängerinnen Nina Bredehorn (li.) und Nathalie Dorra sowie den „Kids on Stage“ als Udo-Doppelgänger. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

Eins drüber auch manche Deko – riesige Plastikflamingos, vom Himmel schwebende Cellistinnen, Boxer mit übergroßen Pappköpfen von Trump und Putin, was für ein Karneval. Der obligatorische Stargast des Abends ist denn auch Komiker Otto Waalkes: Da hotten ein 70- und ein 73-Jähriger zu den Klängen von „Highway to Hell“ ab, singen „auf dem Heimweg wird’s hell“ – und erstmals an diesem Abend stehen auch die Ränge, in Stimmung für ein kleines Jodel-Konzert mit Otto.

Ist schon okay so. Wir sind alle eine Panikfamilie hier in Oberhausen, wo „Gronauten“ wie Udo ja so gut wie daheim sind. Am Ende macht Lindenberg ein Foto im Kreise seiner Band, das feiernde Publikum im Rücken – „ihr seid alle mit drauf!“ Und wir sind alle ein bisschen „König von Scheißegalien“. Denn wenn Udo am Ende wieder abhebt in sein Udoversum, dann ist es diese eine stille Botschaft, die in all dem Karneval und Klamauk in Herz und Seele bleibt: „Nimm dir das Leben/Und lass es nicht mehr los/ Denn alles was du hast/ Ist dieses eine bloß“.