Lichtenau/Dalheim. Das Böse ist überall: Eine Ausstellung im Kloster Dalheim lässt Verschwörungstheorien aus 900 Jahren Revue passieren, von Hexen bis „Chemtrails“.

Seit die Augustiner-Chorherren auf der Kippe vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ein Kloster in der Einsamkeit von Dalheim gründeten, wo sie auf möglichst wenig Ablenkung hofften, ist außer der nahen Autobahn 44 kaum etwas dazugekommen, was die Ruhe und Abgeschiedenheit gefährden könnte. Bis auf die Tatsache, dass aus dem einst verfallenen Kloster am Westhang des Eggegebirges ein schönes Museum geworden ist. Und man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, wenn man vermutet, dass dieses Museum wieder originelle Ausstellungen konzipiert, um der Abgeschiedenheit und Stille des Ortes zumindest zeitweise ein Ende zu bereiten.

Es geht in diesen Monaten allerdings genau darum in dem prächtigen Barock-Bau, der mit viel Geld und Liebe zum Detail restauriert wurde: um Verschwörungstheorien. Eine solche sorgte für die finsterste Episode in der Geschichte des Klosters: Im Jahr 1603 wurde vier führenden Mönchen des Klosters ein Hexenprozess gemacht. Die Beschuldigung: Sie seien „auf allen jeden zauberischen Beisambkunften und Buberei mitgepflogen“, also auf dem Besen zum Hexensabbat gedüst. Sie wurden im Schloss Neuhaus eingekerkert, wo man kurz zuvor mehrere vermeintliche Hexen hingerichtet hatte.

Hinter den üblen Beschuldigungen steckte freilich der Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg, der dem Kloster Land abnehmen wollte. Am Ende einigte man sich auf eine jährliche Getreideabgabe des Klosters an den Fürstbischof und die Beschuldigten kamen nach über einem Jahr frei.

Freimaurer und Illuminatenorden

Aber nicht immer lassen sich Verschwörungstheorien so einfach auf Verursacher und deren Interessen zurückführen. So wurden im Mittelalter die Juden beschuldigt, dass sie im Pakt mit dem Teufel durch vergiftete Brunnen für Pestepidemien gesorgt hätten. Den Ausbruch der Französischen Revolution hätten Freimaurer und jener Illuminatenorden herbeigeführt, dessen dunkelraunende Anziehungskraft zuletzt wieder durch Umberto Eco und Dan Brown ausgespielt wurde.

Ein verrosteter Aufzugsmotor aus dem World Trade Center, Ziel von Anschlägen und Verschwörungstheorien.
Ein verrosteter Aufzugsmotor aus dem World Trade Center, Ziel von Anschlägen und Verschwörungstheorien. © LWL/Alexandra Buterus

Die Dalheimer Kloster-Ausstellung lässt 900 Jahre Verschwörungsdenken Revue passieren. Von den erfundenen „Protokollen der Weisen von Zion“, die von einem jüdischen Weltherrschaftsplan handeln (zu sehen ist ein Exemplar aus dem Nachlass des Erfinders mit dessen handschriftlichen Anmerkungen), bis hin zu lukrativen Geschäftsmodellen wie den „Entstör-Stiften“, mit denen die vermuteten Wirkungen von Barcodes neutralisiert werden sollen, oder „Chem-Bustern“ (zum Preis von mehreren tausend Euro) gegen die befürchteten Auswirkungen von „Chemtrails“: Giftstoffe, die angeblich mit den Kondensstreifen von Flugzeugen ausgebracht werden, um die Menschen auf dem Erdboden zu manipulieren.

Brennendes Pentagon oder brennende Zwillingstürme

Es ist ein schillernder Strauß absurder, kruder Fantasie-Erklärungen. Wie der, dass die Attentate vom 11. September 2001 in Wahrheit Sprengungen durch die US-Regierung gewesen seien; Beweis: Wenn man 20-Dollar-Noten richtig faltet, sieht man ein brennendes Pentagon oder brennende Zwillingstürme. Ähnlich beweiskräftig ist auch Donald Trumps Vermutung, der Klimawandel sei eine Erfindung der Chinesen, weil sie damit der US-Wirtschaft schaden wollten. Die Ausstellungsmacher zählen Stalins tödlichen Argwohn gegen seine jüdischen Ärzte kurz vor seinem eigenen Ableben genauso dazu wie die Kommunistenhatz der 50er- Jahre in den USA.

Anschaulich wird jedenfalls, dass Verschwörungstheorien immer dann in Blüte stehen, wenn die Zeiten unsicher werden. Und während früher gesellschaftliche Eliten Verschwörungstheorien gegen Randgruppen nutzten, wenden sich heutige Verschwörungstheorien meist vom gesellschaftlichen Rand gegen die Eliten.

Das Thema hat allerdings auch eine heitere Seite, wie sich an der „Bielefeld-Verschwörung“ zeigt: Die ulkweise geäußerte Vermutung, das in der Tat ja etwas abgeschiedene Bielefeld gebe es gar nicht, es sei vielmehr eine sorgfältig ausgestattete Erfindung interessierter Kreise, verselbstständigte sich zu einer ironischen Parodie auf Verschwörungstheorien.

„Verschwörungsideologie“ statt „Verschwörungstheorie“

Manche Forscher lehnen allerdings den Begriff „Verschwörungstheorie“ gänzlich ab, weil „Theorie“ in der Wissenschaft für „breit entwickelte, rational begründete Aussagen über einen bestimmten politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Sachverhalt“ stünden. Dass sie als plausible Alternative „Verschwörungsideologie“ vorschlagen, hat nicht einmal in Dalheim Früchte getragen.

Aber das Thema, das in Dalheim auch mit einem „Escape Room“ zum Thema erforscht wird, hat auch geradezu fatale Seiten: „Wer an eine Verschwörungstheorie glauben will,“ sagt Museumsleiter Ingo Grabowsky, „ist auch nicht mit widersprechenden Fakten davon abzubringen. Die werden einfach mit neuen absurden Erklärungen in die Theorie integriert.“ Das Schlimmste aber, so der Historiker: „Verschwörungstheorien erzeugen Feindbilder“.