Essen. Neu im Kino: Susanne Heinrichs Film „Das melancholische Mädchen“ irritiert in 14 Episoden und hat zurecht den Max-Ophüls-Preis gewonnen.
„Ich hasse melancholische Mädchen. Alle melancholischen Mädchen tun das. Sie fragen sich: Wie bin ich all das geworden, was ich nie werden wollte?“ Wenn ein Film mit solchen Worten beginnt, lässt das aufhorchen. Die Protagonistin, der diese Sätze von den Lippen perlen, kann sich allerdings auch sehen lassen. Die Haare hochgesteckt, die Nase nach oben gereckt, die Zigarette sowieso, und unter dem Pelzmantel nichts sonst am Leibe, so steht sie da und schaut amüsiert, vielleicht auch ein bisschen blasiert auf uns Zuschauer im Kinoraum hinab. Und keck wird noch dieser Satz nachgereicht: „Wenn wir ein Film wären, würden wir jetzt schon all die verlieren, die sich mit einer Hauptfigur identifizieren wollen.“
So viel zum Eröffnungsprotokoll des Regiedebüts von Susanne Heinrich, die ganz im Stile der Totalen Filmemacherei auch noch Drehbuch und Schnitt bestritt. Was sich an das Versprechen der ersten zwei Minuten knüpft, sind 14 Episoden von unterschiedlicher Länge und unterschiedlichem Charakter. Mal tragen wie in „Feminismus zu verkaufen“ zwei gänzlich verschiedene Frauentypen den gleichen Text vor, was brüllend komische Unterschiede hervorbringt. Man wohnt einem Pärchen beim Aneinandervorbeireden im gemeinsamen Bade bei („Die Gewalt der Liebesmärchen“) und erlebt ein aberwitziges Musikvideo („Tanzende Simulation“). Es gibt seltsame Begegnungen mit verschiedensten Männern (u.a. „Der Markt der Romantik“, „Der neue Tourismus findet in Betten statt“ oder „Sanfter Übergriff beim Kaffeetrinken“) und am Ende wird fröhlich tanzend „Eine Hymne auf die Gesellschaft“ geträllert, plus acht Minuten Nachspann, die auch nicht verpasst werden sollten.
Stilübung in Ironie und Experimentierfreude, freizügig wie Robert van Ackeren
Wofür das alles steht und worauf es schließlich hinausläuft, das ist im Gewinnerfilm des diesjährigen Max-Ophüls-Preises, jenem seltsamen Festival des (gedanklich) unabhängigen deutschen Films, konkret nicht zu bestimmen. „Das melancholische Mädchen“ ist eine Stilübung in Ironie und formaler Experimentierfreude, ein künstlerischer Großstadtritt, frei im Geiste und so freizügig wie eine Komödie von Robert van Ackeren („Harlis“) aus den 70er-Jahren.
Die nymphenhaft sinnliche Hauptdarstellerin Marie Rathscheck deklamiert superb formulierte Drehbuchsätze wie „Ironiker nehmen nichts ernst, Zyniker sind enttäuschte Romantiker“ mit einer hinreißend dekadenten Lust an der Überbetonung. So deuten sich die Kriterien für den Mann des Abends – Schönheit, Unschuld, Coolness – mit verschlingender Beiläufigkeit auf der Zunge an. Die männlichen Stichwortgeber und Lebensabschnittspartnerschaften heißen „Typ“, „Boy,“ „Partyfreund“, „Psychoanalytiker“, „Bauarbeiter“, „Barmann“ oder „Normalo“. Melancholie kann so viel Spaß bereiten, wenn sich nur jemand so wie hier frisch und frei herantraut.