Dortmund. Aufregend – auch dank eines Zwischenfalls: Philipp Westerbarkeis rasante Dortmunder Inszenierung der Kinderoper „Wo die wilden Kerle wohnen“.

Das Stück war offenbar so an- und aufregend, dass der wahre Aufreger fast wie ein zusätzlicher Regieeinfall wirkte. Philipp Westerbarkeis rasante Inszenierung von Oliver Knussens Kinderoper „Wo die wilden Kerle wohnen“ nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Maurice Sendak war 30 Minuten alt, „Max“ (Irina Simmes) war gerade dabei, sich von seinen furchterregenden Fantasiefiguren zum König krönen zu lassen, da dröhnten echte Alarmsirenen.

Ein gewaltiges Feuerwehr-Aufgebot wurde offenbar durch eine Fehlfunktion alarmiert

Über Lautsprecher: die Aufforderung, das Haus zu räumen. So still und konzentriert hunderte von Grundschülern das Geschehen bis dahin verfolgt hatten, so bemerkenswert ruhig und unaufgeregt verließen sie über Seitenausgänge das Opernhaus. Und mit ihnen die Lehrer, die Darsteller in Kostüm und Maske, die Orchestermusiker. Draußen ein gewaltiges Feuerwehr-Aufgebot, herbeigerufen wohl durch die Fehlfunktion eines Feuermelder.

Nach einer halben Stunde war die Zwangspause vorbei, weiter ging’s mit der Wiederholung der köstlichen Inthronisierung (die Krone eine Suppenterrine, das Zepter eine Suppenkelle), die so bezeichnend ist für die opulente, ungemein fantasievolle und die Fantasie des jungen Publikums anregende Ausstattung der Bühnen- und Kostümbildnerin Tatjana Ivschina.

Das Stück erzählt von einem wütenden Ausbruch aus der Biederkeit

In ihrer grauslich überladenen gutbürgerlichen Stube des 19. Jahrhunderts versammelt sich eine schrecklich biedere Familie zum Essen. Der kleine Max, der die ernsten Kreise der Erwachsenen nicht stören soll, ist in sein Zimmer im Obergeschoss verbannt. Dort ist der lebhafte Junge zwar nicht zu sehen, aber immer noch zu hören, weshalb ihn die erzürnte Mutter ohne Abendessen ins Bett beordert.

Wütend tagträumt sich Max in ein fernes Land, in dem die Familienmitglieder Gestalt, Charakter und Eigenarten seiner Plüschtiere annehmen. Aus Vater wird Bullenkerl, die Oma (Hahnkerl) gockelt, die Onkel heißen Hornkerl und Ziegenkerl… Doch bald hat er von den wilden Kerlen genug, wohl auch von seinem eigenen Trotzverhalten. Er verlässt seine Traumwelt und kehrt einsichtig in den Kreis der Familie zurück, wo ihn die liebende Mutter schon erwartet: mit der heiß ersehnten warmen Suppe. Knussens zeitgenössische Komposition, die in ihrer Klangvielfalt und assoziativen Kraft fast wie atmosphärische Filmmusik wirkt, trägt 45 Minuten lang wunderbar das überbordende Geschehen, das dem kleinen Zuschauer kein tieferes Textverständnis abverlangt.

Die Inszenierung entstand im Rahmen der Jungen Opern Rhein-Ruhr

Nur gelegentlich, und dann meist bei Max, wird eine Textzeile zugeblendet. Die Inszenierung, entstanden im Rahmen der Jungen Opern Rhein-Ruhr (einer Kooperation zwischen Dortmund, Düsseldorf und Bonn) erzählt die (auch psychoanalytisch bedeutsame) Geschichte fast ausschließlich mit der Kraft ihrer überwältigenden Bilder und Figurenkonstellationen.