Essen. Ilse Storb ist Jazzforscherin, Weltmusikerin und erfand das Duisburger Jazzlabor. Am 18. Juni wird die energiegeladene Essenerin 90 Jahre alt.
Neulich hat Ilse Storb noch mit Bettina Böttinger telefoniert. Das ging ungefähr so, dass Frau Storb der Frau Böttinger gesagt hat: „Wenn ich noch mal bei ihnen auftreten soll, bevor ich gestorben bin, wär’ jetzt ‘ne Gelegenheit. Ich werde 90!“. Das ist so die unverwechselbare Art der weltumarmenden Jazz-Professorin. Lars von der Gönna durfte sie besuchen – für ihn verschob sie sogar ihren täglichen Schwimmausflug.
Danke, dass Sie unseretwegen aufs Bahnenziehen verzichten...
Storb: Ohne mein Schwimmen säß ich schon im Rollstuhl. Ganz wichtig! Ich fahr’ heute einfach später nach Ratingen zum Schwimmen.
Sie fahren noch Auto?
Nur Strecken, die ich kenne.
Ehe wir zum Jazz kommen: Woher kommt Ihre tolle Palmen-Brille?
Von einem Jazz-Kongress aus Florida. Die seh’ ich im Hotelshop und denk: lustig. Acht Dollar! Der deutsche Optiker hat natürlich geguckt. Ja, die kommt gut an, leider hab ich mich bei einem Kinderworkshop draufgesetzt, jetzt hab ich ‘ne zweite.
Ich sehe in Ihrem Regal ein Buch mit einschüchterndem Titel: „Der Mann, ein Fehlgriff der Natur“. Sind Männer und Frauen unterschiedlich, Frau Professor Storb?
Ich fürchte, ja. (lacht). Kapitel 4: „Der Testosteron-Sklave“! Aber ich gehe ja immer drauf zu, ganz burschikos, ich komm’ ja vom Bauernhof – und die Männer können ja nichts dazu.
Sie haben qua Profession gleich zwei Männervereine erlebt: das Uni-Leben und den Jazz...
Ja, ich hab mein Leben lang gekämpft, von klein an. Die Universität war eine Männerwelt, der Jazz auch, im Grunde ist er es noch. Vielleicht war meine Stärke, dass ich unbefangen in diese Welten gegangen bin. Zu meinen frühen Uni-Zeiten in Duisburg gab es für Frauen kuriose Situationen. Unsere Dekanatssitzung war in einer ehemaligen Ingenieurschule. Tja, da gab’s kein Klo für Frauen. Ich bin dann trotzdem... ich muss als Frau ja auch, das können Sie ruhig zitieren, Prost! (trinkt Sprudel).
Sie sind ausgebildete Pianistin, „Abschluss mit Auszeichnung“. Wie kam Ilse Storb zum Jazz?
Durch ein Kongress-Plakat an der Uni: „Musikwissenschaft und Jazz“. Ich fuhr hin, einfach neugierig, und war sofort Feuer und Flamme. Erst recht beim Berliner Jazz-Festival: Duke Ellington wurde 70, ich bekam Küsschen von ihm, Kisses from the Duke! Nie mehr abwaschen (lacht).
Wie war Duke Ellington?
Wunderbar, offen, zugänglich! Genau wie Dave Brubeck, dem meine Habilitationsschrift galt. Brubeck hat eine Komposition für mich geschrieben, sie heißt „Ilse Storb“.
Was bedeutet der Jazz für Europas einzige Jazz-Professorin?
Musik von Seele zu Seele, das Spontane, das Vitale! Wie sagt man: Die Europäer marschieren, die Afrikaner tanzen. „Pata pata“, das ich so oft singe, heißt „to touch“: berühren.
Sie waren 30 Mal in Afrika, was lernt man dort?
Solidarität, Menschlichkeit! Wenn Sie dem ärmsten Menschen dort ein Stück Brot geben, teilt er das mit Ihnen. Machen Sie das mal in Deutschland: Brot teilen. Die halten Sie doch für verrückt!
Auch Helge Schneider war bei Ihnen im Jazzlabor. Wie finden Sie eigentlich den Song „Katzenklo“?
Lehne ich ab! Helge ist ein guter Musiker und ein begnadeter Clown. Dann kam die Sache mit dem „Katzenklo“ in der Lichtburg. Ich bin in der Pause gegangen. Da kam Helge mir entgegen. Ich sag’: „Helgeeee! Wie kann man nur?“ Die Antwort war ganz kurz: „Ilse, das verstehst du nicht!“ – er machte mit den Fingern die Bewegung „pinke pinke“. Ich mach’ dem Helge eigentlich weniger den Vorwurf als unserer Gesellschaft: soll eben flach und leicht zu konsumieren sein. Entertainment und aus! Und das ist guter Jazz nie.
Frau Storb, warum ist die Musik ihr guter Stern geworden?
Das verdanke ich meiner Mutter. Als sie mit mir schwanger war, hat sie ganz viel Klavier gespielt. Später hat sie mir gesagt: „Kind, du brauchst nicht zu heiraten. Du studierst Musik, und die wird ein Leben lang bei dir bleiben“.
Frau Storb, mögen Sie bitte 120 werden, wenn es aber dereinst doch soweit ist: Was wäre Ihr letzter Jazz-Song?
(singt) „I can’t give you anything but love, baby“ („Ich kann dir nichts geben außer meiner Liebe“)
Ilse Storb singt in Essen
Ihr Testament, sie erzählt es im Interview ganz offen, hat Ilse Storb zugunsten des Essener Museums „Soul Of Africa“ gemacht.
Wer die singende Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande live hören will: 28.11., Zeche Carl. „Ilse and her Satchmos“. 20€