Essen. Wortreiche Charakterstudien: Olivier Assayas´ neuer Film „Zwischen den Zeilen“
Seit der Zeit eines Eric Rohmer und seiner unentwegt parlierenden Figuren wurde im französischen Kino nicht mehr derart beharrlich geredet wie jetzt in Olivier Assayas’ neuem Film „Zwischen den Zeilen“. Man trifft sich in Restaurants, in Landhäusern oder in Hotels. Und da wir es hier weitgehend mit Verlegern und Autoren zu tun haben, geht es in den Gesprächen vor allem um die Zukunft des Buchs im digitalen Zeitalter. Man redet über zurückgehende Leserzahlen, über Hörbücher, E-Books oder auch über Blogs von Autoren im Internet und deren wachsende Popularität.
Olivier Assayas hat das Drehbuch „frei und intuitiv“ entwickelt
All dies Gerede jedoch wirkt seltsam überholt, was Assayas sehr wohl zu wissen scheint. Schließlich hat er bereits in seinem letzten Film „Personal Shopper“ den Einfluss von Internet und Smartphone im Altersleben thematisiert. Ihm geht es offenbar weniger um das Thema als vielmehr um die Akteure in diesem Film, mit denen ihm eine hübsche, hintergründige Komödie gelingt. Und das bei einem Drehbuch, so die Aussage des Regisseurs, das „frei und intuitiv“ entwickelt worden sei: Er habe einfach drauflos geschrieben, ohne zu wissen, wo er hinwollte.
Dafür sind ihm Charaktere gelungen, denen man gern zuschaut bei ihren Liebesaffären. Da ist zum Beispiel der Verleger Alain (Guillaume Canet), der eine junge Digitalisierungsbeauftragte engagiert hat, mit der er sehr schnell ein Verhältnis beginnt. Seine Frau, die Schauspielerin Selena (großartig: Juliette Binoche) ahnt offenbar etwas, geht selbst jedoch immer mal wieder mit dem Schriftsteller Léonard (Vincent Macaigne) ins Bett. Der ist zwar verheiratet, sucht aber für seine Bücher immer wieder erotische Herausforderungen. Er hat es sich inzwischen zur Gewohnheit gemacht, den Stoff seiner Romane autobiografisch bei sich selbst zu suchen, amouröse Abenteuer sind da jedes Mal das Salz in der Suppe. Das hilft ihm diesmal aber nicht, denn Alain will das neue Buch nicht mehr verlegen.
Die reale Juliette Binoche ist Gesprächsthema der Filmfiguren
Assayas lässt die subtile Komik in seinem Film nicht zu kurz kommen. Selena etwa, die gerade in einer Polizeiserie spielt, ist nicht eben erbaut davon, selbst von Freunden nur noch als Polizistin wahrgenommen zu werden. Verzweifelt pocht sie auf „Expertin für Krisenmanagement“, was aber völlig untergeht. Gleichzeitig ist die reale Binoche mit ihren Filmen Gesprächsthema im Kreis der Filmfiguren – und führt damit eine Art Doppelleben. Und Léonard, der während eines „Star Wars“-Films im Kino von Selena sexuell bedient wurde, verschönert das für seinen Blog, indem er aus dem Blockbuster kurzerhand Michal Hanekes „Das weiße Band“ macht. Diese intellektuelle Anpassung bringt ihm noch viel Ärger ein, denn er hat den Film gesehen.
Kameramann Yorick Le Saux drehte den Film auf Super-16-mm
Aber wenn es in „Zwischen den Zeilen“ auch mal ernst wird, sehen wir da unsichere Menschen, die wissen, dass es so wie bisher nicht einfach weitergehen kann, die aber längst noch nicht wissen wie. Assayas versucht es schon mal: Er, der immer ein glühender Verfechter des analogen 35-mm-Materials war, hat seinen neuen Film mit Kameramann Yorick Le Saux auf Super-16-mm gedreht. Körnige Bilder inbegriffen.