Essen. Der Schweizer Autor Urs Widmer skizziert in seinem Lebensreisebericht „Herr Adamson” die aberwitzigen Seiten von Leben und Tod – und begegnet so dem Skandal der eigenen Sterblichkeit.

Einer aberwitzigen Odyssee gleichen seine Romane. Kaum einer hat wie Urs Widmer die Poesie des Skurrilen besungen, sich selbst derart stilisiert als einen verschmitzten Handlungsreisenden: ein Homer mit Humor.

Das kommt, weil Urs Widmer aus der Schweiz kommt: aus einem kleinen Land mit engen Grenzen also, das sich selbst zuweilen allzu ernst nimmt (und bei fremden Klängen weghört). Und so lässt sich Widmers aktueller Roman, der als Essenz seines Lebenswerks daherkommt, auch lesen wie eine todernste, klamaukige Abrechnung mit der Heimat.

Die Geschichte beginnt am 22. Mai 2032: Am Tag vorher hatte der Ich-Erzähler Geburtstag (und hätte auch Urs Widmer Geburtstag, der am 21. Mai 1938 in Basel geboren wurde). Nun wartet er in einem Garten darauf, dass ein gewisser Herr Adamson kommt – um ihn abzuholen. Bald ahnen wir, wohin die Reise gehen soll.

Nacherzählung müsste mit gebrochenen Ohren enden

Der Erzähler spricht seiner Enkelin ja die ganze Geschichte auf einen Rekorder. Wie er als Achtjähriger Herrn Adamson zum ersten Mal begegnete, 1946 und hier im Garten!, und dieser ihm die Physik des Jenseits erläuterte: „Ich und du haben uns auf Erden abgelöst. Wie in einem Stafettenlauf ohne Stab. Ich bin dein Vorgänger. Du bist mein Nachfolger. Mich kannst du sehen. Alle anderen Toten siehst du nicht.” Der Erzähler erzählt, warum Herr Adamson sich dem Achtjährigen zeigte, welche Mission dieser für ihn erfüllen sollte und auf welche Weise er später Herrn Adamsons Enkelin Bibi begegnete. Welche Rolle Heinrich Schliemann spielte. Warum der Junge die Sprache der Navajo-Indianer lernte – so viele Salti macht Widmers Lebensreisebericht, dass jede Nacherzählung mit gebrochenen Ohren enden müsste.

Unfreiwillig ins Totenreich

Einmal gerät der Junge selbst unfreiwillig ins Totenreich, Herr Adamson führt ihn heraus – da stehen sie plötzlich in der historischen Stätte Mykene. Ein griechischer Polizist bringt den Jungen flugs zurück nach Basel zu den Eltern, auf dem Fahrrad. In Widmers Welt sind Unmöglichkeiten selbstverständlich.

In vergangenen Romanen hat der Schweizer Autor bereits seine eigene Biografie tollkühn zerpflückt: „Der Geliebte der Mutter”, „Das Buch des Vaters”, „Das Leben als Zwerg” sind ein Mutter-Vater-Kind-Spiel aus der Parallelwelt der Fiktion. Nun entzieht sich Widmer dem Skandal der eigenen Sterblichkeit, indem er ihr vorgreift. Seine Reise führt ihn weit hinaus aus dem kleinen Land mit den engen Grenzen: das da Leben heißt.

Urs Widmer: Herr Adamson. Diogenes, 200 S., 19,90 Euro