Essen. . Bizarr und ungeheuer amüsant: Heinrich Steinfests einarmiger Ermittler zwischen toten Stars, Synchronsprechern und selbsternannten Rächern.
Endlich können wir mal wieder einen deutschen Krimi aus der Bestenliste empfehlen! Aber was heißt hier deutsch? Der Autor ist in Australien geboren, in Österreich aufgewachsen und lebt seit langem in Stuttgart. Er hat siebzehn Romane geschrieben oder auch ein paar mehr, und nicht nur Krimis, aber alle ziemlich schräg. Schon vor zehn Jahren hat er einen seiner schrulligen Detektive in den Ruhestand geschickt. Deshalb muss er nach Chengs „letztem Fall“ jetzt einen „neuen“ ankündigen; aber seine treuen Fans erwarten ohnehin keine serielle Produktion, sondern – nun ja: Unikate mit einem Unikum als Helden. Herr Cheng ist, wie sein Aussehen und sein Name verraten, chinesischer Herkunft, aber lebenslang Überzeugungsösterreicher, lebt komfortabel in der ehemaligen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und bezieht nur seine Schuhe aus Stuttgart. Wohlhabend genug, um nicht jeden Fall anzunehmen, sondern seine Tage als Flaneur, Lebensbeobachter und Alltagphilosoph zu verbringen. Auch dass er einst seinen linken Arm verlor – wobei eigentlich? – macht ihn unverwechselbar. Fürs Routinegeschäft hat er eine besonders tüchtige Sekretärin.
Nun dürfen wir aber den Fall nicht vergessen. Denn es ist schon wieder etwas passiert, wie der Kollege Wolf Haas sagen würde. Und zwar, wie fast alles bei Steinfest, etwas sehr Seltsames, geradezu Bizarres. Ein Hollywoodstar (männlich) soll in einem Londoner Luxushotel von seinem deutschen Synchronsprecher ermordet worden sein. Ohne triftigen Nachweis wird der schuldig gesprochen; Cheng, der ihn einst an einer Hotelbar auf Mallorca traf, soll nun seine Unschuld beweisen. Also verlässt er seine Kanzlei in der Taubstummengasse nahe der Wiener Staatsoper und reist – zunächst nach London, dann nach Island, wo er die Lösung ausgerechnet in einer prähistorischen Höhle findet, und schließlich auf einem Dampfer ins Eismeer. Um die komplizierte Sache zumindest halbwegs zu verstehen: Die Unschuld des Verurteilten ist nun erwiesen; allerdings hat er sich bei einem Häftlingsausbruch aus dem Staub gemacht. Seine Verurteilung erweist sich ohnehin als Intrige dreier selbsternannter Rächer und Sühne für eine schwere Schuld aus seiner Jugendzeit. Und wir wetten nicht hoch, dass er davonkommt, als er schließlich mit Margot, der berühmten Pianistin (die einst Gernot hieß und Chengs bester Freund war), auf einer Eisscholle kurz vor Grönland in weißer Unendlichkeit verschwindet.
Zugegeben: Alles sehr verzwickt, unglaublich, fantastisch – oder wie schon gesagt „bizarr“ und zugleich amüsant, pausenlos grundiert vom philosophischen Gedankenstrom des schlaflosen Cheng. Literaturdetektive werden aber auch bemerken, dass dieses grandiose Hin und Her und Durcheinander von Ernst und Ironie, Unsinn und Tiefsinn einer sehr österreichischen Literaturtradition entstammt, die von Nestroy über Musil und Kraus bis zu Ernst Jandl und dem annähernd gleichaltrigen Haas reicht. Von dem würden wir übrigens auch gern wieder mal was Neues lesen.