Bonn. . Wirkmächtig wie kein zweiter deutscher Literat. Was die Welt für Goethe bedeutete und wie er die Kunst prägte, erzählt eine neue Schau in Bonn.
Große Künstler sind Seher. Entsprechend haben sie die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört nicht nur knapp 200 Jahre eher gestellt als Schäuble und Wulff, sondern sie gleich auch noch beantwortet. „Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“: Riesenschrift an einer Wand der Bundeskunsthalle Bonn und fraglos auch ausgewählt, um über die größte deutsche Goethe-Ausstellung seit 25 Jahren sagen zu können: Ihr Held hat nicht wenig Bezug zu unserer Zeit.
Man könnte auch die heiter-listigen Einlassungen der Gegenwartskunst in dieser Schau als Beispiel für den Zugriff nehmen. Verehrung brachial: Eine zwei Meter hohe Dachlatte ziert am Eingang in Volker Heders Installation der Name „Goethe“. Daneben ein abgebrochenes Etwas aus Holz, etwa 70 Zentimeter. Aufschrift: „im Vergleich dazu irgendein Scheißer“.
Übermächtiges Vorbild, Kultfigur: Goethe ist in Bonn die Schau „Verwandlung der Welt“ gewidmet
Das ist roh, aber wahr. Bei Zeitgenossen war Goethe als übermächtig gefürchtet (lesen Sie nur Thomas Manns „Schwere Stunde“, in der der arme Schiller diesen Großen nur „der Andere“ nennt) und als deutscher Literat in seiner Wirkung auf Zeit und Nachwelt – als Idol, Rivale, Vorbild, Kultfigur, Parodierter – von einer Wirkung wie kein anderer.
Ihm huldigt Bonns Ausstellung mit einem vielsagenden Titel. Denn der „Verwandlung der Welt“ mag man gleich dreierlei Einsichten über Goethe verdanken. Erstens, dass er selbst über acht Lebensjahrzehnte wacher Zeuge extremer Umwälzung war. Zweitens, dass eben dieser Wandel den bis ins Greisentum Hochneugierigen (auch seine Glasprismen, mit denen er die Farbstudien trieb, finden sich in Bonn) ständig kreativ herausforderte. Und drittens, dass die erlebten Welten von der Französischen Revolution bis zum Aufkeimen der Romantik oder dem Aufstieg der Naturwissenschaft, von George Washington bis zur Begegnung mit dem jungen Beethoven Goethe als Menschen vielfach auf neuen Kurs schickten, was wiederum Folgen für die Kulturgeschichte hatte. Heute würde man sagen: Er erfand sich ständig neu – und exakt so legt der von neun Säulen gestützte Eingangs-Tempel die Ausstellung an.
Jeder Raum der Goethe-Ausstellung gilt einer eigenen „Welt“ - vom Werther bis zum Orient.
Als Welten sind die Räume der von Thorsten Valk mit dem hier unumgänglichen Mut zur Lücke kuratierten Schau allesamt etikettiert. Die alte Welt: Kindheit in Frankfurt – und am anderen Ende jene museale Welt, in der Goethes Wohnhaus am Weimarer Frauenplan mit dem auch in Bonn vertretenen riesigen Haupt der Juno längst die Züge der Selbststilisierung trägt. Werther und den Folgen gilt die Abteilung „Gefühlswelten“, in der Schauriges (die Pistole, mit der sich Goethes Werther-Vorbild das Leben nahm) in Nachbarschaft zu Kuriosem siedelt: Denn dem Namen „Sturm und Drang“ hört man nun wirklich nicht an, dass er eigenes Porzellan kreierte, tatsächlich malte Meissens Manufaktur ein begehrtes Werther-Service.
Klug durchbricht Valk die in Deutschland bis ‘45 ungebrochene Anbetungskultur. Im Spiel mit der Arkadischen Welt („Kennst du das Land...“) findet sich im Italien-Raum neben kühlen Fotografien Barbara Klemms auch Massenphänomeme als Folgen der Schwärmerei: Tourismus-Plakate, auf denen die Zitronen größer sind als der Poseidon-Tempel von Paestum.
Im Faust-Raum („Welt der Moderne“) rufen – direkt neben Dutzenden Theaterplakaten zum berühmtesten Drama der Deutschen – in Kurzfilmen gleich drei Schauspieler-Generationen „Habe nun, ach...“. Und Josef Albers, Paul Klee und viele andere geben ihr malerisches Echo auf jene Farbenlehre, die hier „Welt der Sinne“ heißt.
Ein von Goethe mit Notizen versehenes Soufflierbuch zum Faust ist Teil der Ausstellung.
So ist die Schau, wohl auch im Zugeständnis einer sich wandelnden Bildung weit, offen, mitunter munter assoziativ. Artefakte, die Philologen und Literaturfreunde alter Schule einen leisen Schauer der Ehrfucht schenken, birgt sie aber doch zuhauf: Des Meisters Erdgeist-Zeichnung, eine Koran-Abschrift von eigener Hand, sein Schubfach mit Mineralien, das Soufflierbuch zum ersten Weimarer Faust. Als der dort auf die Bühne kam, war Goethe schon 80, aber längst noch nicht darüber erhaben, dass Zensurstriche für Kirche und Adel ihn nicht gepiesackt hätten.
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DATEN ZUR AUSSTELLUNG
Bis 15. September 2019. Bundeskunsthalle Bonn. Fr.-Ebert-Allee 4. 0228-91710. Eintritt 10/erm. 6.50€. Montags geschlossen.
Zeitgleich empfindet das Dach der Bundeskunsthalle „Goethes Gärten“ in Weimar nach – mit echtem Grün.