Oberhausen. . Am Theater Oberhausen inszeniert Babett Grube den „Tod eines Handlungsreisenden“ gänzlich unerschrocken – und mitten in einem Warenhaus.

Nanu, was macht Willy Loman denn da? Wenn sich am Theater Oberhausen der Vorhang hebt, dann hat es eine der schillderndsten Figuren der Literaturgeschichte in eine komplett neue Welt verschlagen. Statt wie üblich als Handelsvertreter kläglichen Profit für seine Familie zu erwirtschaften, steht dieser Loman wie eine Eins hinter der Theke eines Warenhauses namens „Cosmos“. Als Leiter der Haushaltswaren-Abteilung tigert er unablässig zwischen Kühlschränken und Waschmaschinen umher. Die Kundschaft dankt es ihm nur mäßig: Keiner mag Lomans in höchsten Tönen angepriesenen Saugroboter kaufen.

„Tod eines Handlungsreisenden“, diese ungemein traurige und packende Sozialtragödie, war Arthur Millers größter Wurf, für den er 1949 den Pulitzer-Preis bekam. Legendäre Schauspieler – von Heinz Rühmann bis Dustin Hoffman – haben sich am tragischen Abstieg des Willy Loman abgearbeitet, dessen unerschütterlicher Glauben an die Illusion des amerikanischen Traums und seines „Anything goes“ bis heute tief berührt.

Regisseurin Babett Grube pfeift auf Werktreue

Und noch immer reizt dieses Sinnbild des kleinen Mannes die Theatermacher zu mannigfaltigen Deutungen, denn die Parallelen zu unserer Ellenbogengesellschaft sind einfach nicht zu übersehen. Doch so unerschrocken wie Regisseurin Babett Grube dem Stück jetzt in Oberhausen begegnet, dürften sich bislang nur wenige an das Meisterwerk heran getraut haben. Grube pfeift auf jegliche Werktreue und aktualisiert, bis es quietscht.

Dabei erweist sich die zunächst befremdlich wirkende Verlagerung des Schauplatzes von Lomans Esszimmer in den mit hellem Neonlicht ausgeleuchteten Elektromarkt (Bühne: Demian Wohler) als eine Idee, die überraschend gut trägt. Denn natürlich ist ein gebeutelter Verkäufer mit panischer Angst vor Jobverlust, der zudem wie dämlich auf Provisionsbasis schuftet, näher an der bitteren Realität unserer Arbeitswelt als der etwas aus der Zeit gefallene Beruf des Klinkenputzers, wie ihn Miller sich ausmalte.

Kleinere dramaturgische Klippen umschifft die Regisseurin elegant: Warum sich die ganze Familie bei ihren langen Gesprächen über gescheiterte Lebensträume bloß dauernd an Vatis Arbeitsplatz versammelt, bleibt zwar ein Rätsel, wird aber amüsant weggespielt. So hat sich Lomans Frau Linda inmitten all der Elektroartikel längst häuslich eingerichtet.

Ein feines Spiel der leisen Töne von Torsten Bauer

Die Qualität dieser Aufführung liegt darin, dass Grube sich von ihrem unermüdlichen Aktualitätswillen nicht komplett blenden lässt. Vielmehr trifft sie den Kern des Stücks relativ genau. Die große Loman-Tragödie und die seiner Familie steht stets an erster Stelle und bietet dem Ensemble alle Gelegenheit, sich darstellerisch an die Gurgel zu gehen.

Der großartige Torsten Bauer zeigt ein feines Spiel der leisen Zwischentöne. Sein Willy Loman ist ein armer und doch stolzer Tropf, dessen Witze nicht mehr zünden und dessen Umsatz nicht mehr stimmt. Hinter seinen fahlen Durchhalteparolen schimmert die blanke Panik. Wie er sich tapfer gegen den Untergang stemmt und dabei die Beruhigungspillen wie Popcorn kaut: Allein diese reife Leistung lohnt den Besuch dieses Abends.

Anna Polke gibt Linda mit geknickter Würde

Anna Polke gibt Linda, die besorgte Frau an seiner Seite, mit geknickter Würde. Ihre finale Szene am Grab ihres Gatten rührt tief. Mit deutlich gröberem Strich zeichnen Daniel Rothaug (als Biff) und Mervan Ürkmez (als Happy) die beiden Söhne. Biff wird von den Erwartungen des Vaters in den seelischen Ruin getrieben. Doch er begehrt weiter gegen ihn auf, weil aufzuhören das Aus wäre. Viel Beifall.

Dauer: ca. 2 Stunden ohne Pause. Wieder am 28. und 29. April sowie im Mai. Karten: 0208 / 8578-184.

Zur Person: Regisseurin Babett Grube

Regisseurin Babett Grube (*1980 in Halle) studierte Regie an der Theaterakademie Hamburg. Danach inszenierte sie u.a. am Thalia Theater, dem Maxim-Gorki-Theater und am Schauspiel Hannover. Ihre Bielefelder Uraufführung von „Demut vor deinen Taten, Baby“ bekam 2013 beim Theaterfestival „Radikal jung“ den Publikumspreis.