Berlin. . Eine Schau im Hamburger Bahnhof Berlin stößt eine deutsche Maler-Legende vom Sockel. Sie erzählt von Emil Nolde und dem Nationalsozialismus.

Wild und von weißem Schaum bekrönt donnern die Wellen ans Ufer. Darüber wölbt sich der Himmel mit einer Wolke im Abendrot. Man kann das Tosen förmlich hören, spürt die geballte Kraft der Natur. „Brecher“ heißt das Gemälde des Malers Emil Nolde. Und es bildet den Schlussakkord der Ausstellung „Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ im Hamburger Bahnhof. Sie zeigt Nolde nicht mehr als Opfer des Nationalsozialismus, sondern macht deutlich, wie sehr er in dessen Ideologie verstrickt war. Nolde war ein Antesemit, Rassist und überzeugter Nationalsozialist, und zwar bis zum bitteren Ende

Politische Wogen schlug das Bild „Brecher“

Schon im Vorfeld der Ausstellung hatte das Gemälde, das Nolde 1936 malte, politische Wogen geschlagen, denn es hing als Leihgabe der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Arbeitszimmer von Angela Merkel. Dieses und ein zweites Gemälde von Nolde mit dem Titel „Blumengarten (Thersens Haus)“ aus dem Jahr 1915 wollte sie nicht zurück. Ob das aus vorauseilenden Gehorsam vor dem geschah, was die Ausstellung am Hamburger Bahnhof nun ausführlich darlegt, sei dahingestellt.

Emil Nolde, 1937.
Emil Nolde, 1937. © © Nolde Stiftung Seebüll

Die Ausstellung will Nolde nicht verunglimpfen, sie will vor allem eines: aufklären. Das betonen alle Beteiligten, Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, Christian Ring, Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde und die beiden Kuratoren Aya Soika und Bernhard Fulda, deren Forschungsarbeit die Grundlage für die neuen Erkenntnisse über Nolde liefert. Und aufklären heißt hier: Grauzonen ausleuchten, Widersprüche aufdecken. Im Fall von Nolde bedeutet das Abschiednehmen von Mythen und Legenden, die Nolde nach 1945 über sich in die Welt setzte. Da galt er als der von den Nationalsozialisten verfemte Künstler, von dem überdurchschnittlich viele Werke aus Museen beschlagnahmt worden waren und der in der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 besonders prominent in Szene gesetzt worden war. Dass er auch NS-Parteimitglied war und bis zum Kriegsende überzeugter Anhänger des Regimes wollte er selbst schnell vergessen machen. Mit Erfolg!

Emil Nolde inszenierte sich als Widerstandskämpfer

Vehikel für seine Inszenierung als stiller Widerstandskämpfer in der sogenannten Inneren Emigration war die berühmte Werkserie der „Ungemalten Bilder“, kleinformatige Aquarelle, die Nolde angeblich „heimlich“ malte, als er von den Nationalsozialisten mit einem Malverbot belegt worden war. Tatsächlich hatte Nolde allerdings schon 1931 begonnen, die Aquarelle als Malvorlagen für größere Gemälde zu schaffen und setzte diese Praxis dann fort. Gemalt hat er die ganze Zeit, wenn auch wegen mangelnder Malmittel, die er durch ein Berufsverbot 1941 nicht mehr selbst beziehen durfte, deutlich weniger.

Doch änderte er seine Themen, auch um den Nationalsozialisten zu beweisen – so eine These der Kuratoren –, dass das mit der „Entartung“ ein großes Missverständnis ist und sie ihn nur verkannten. Also malte er unverfängliche Blumenbilder, verzichtete auf seine umstrittenen religiösen Bilder und konzentrierte sich auf „nordische“ Wikinger-Motive wie „Gaut der Rote“.

Emil Nolde schrieb Briefe an Hitler und Goebbels

Nolde sah sich von Anfang an als der urdeutscher Künstler, der sich, lange bevor die Nationalsozialisten auch nur daran gedacht hätten, gegen eine jüdische Verschwörung in der Kulturpolitik der Weimarer Republik zur Wehr gesetzt hatte. Hintergrund war ein heftiger Streit mit dem Secessionspräsidenten Max Liebermann, als Noldes Gemälde „Pfingsten“ 1910 von der Berliner Secession abgelehnt wurde. In folge dieses Streits wurde Nolde aus der Künstlervereinigung ausgeschlossen. Er fühlte sich gekränkt und missverstanden und schrieb alles einem jüdisch dominierten Kulturbetrieb zu.

Zur Schau und zu Lenz

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50-51, Berlin. Tel. 030/ 266424242. Bis 15. September.

Nicht ändern lässt sich der Blick eines berühmten Romans, der Nolde galt. Siegfried Lenz’ „Deutschstunde“ verneigt sich vor dem Maler Max Ludwig Nansen – unverkennbar Emil Nolde, der eigentlich Hansen hieß. „Nolde“ war sein Geburtsdorf.

Sehr früh gab es hier also schon ideologische Überschneidungen mit den Nationalsozialisten, die sich später weiter radikalisierten. Um das falsche Bild, das sich die Nazis von ihm gemacht hatten, zurechtzurücken, schrieb Nolde Briefe an Hitler, Goebbels und andere hochrangige NS-Funktionäre. 1939 gelang es ihm endlich, seine Bilder aus der immer noch durch deutsche Städte wandernden Ausstellung „Entartete Kunst“ entfernen zu lassen. Rehabilitiert, wie Nolde es sich stets erhofft hatte, wurde er von den Nazis jedoch nie.

Kuratorin: „Ambivalenzen, die man aushalten kann“

Was macht man jetzt mit dem ideologischen Scherbenhaufen, den die Ausstellung hinterlässt? Hängt man alle Noldes ab, wie es die Kanzlerin getan hat? Kann man sich an Noldes Bildern nicht mehr erfreuen? Wird aus dem „lupenreinen“ Nolde nun ein „brauner“ Nolde? Mitnichten. Nolde ist nur kein Held mehr. „Es könnte sogar sein, dass sich als Reaktion auf die Ausstellung eine Gegenlegende bildet, die in Nolde nur noch den Nazi sieht“, sagt Christian Ring von der Stiftung Seebüll. „Aber da muss Nolde durch.“ Wir natürlich auch!

Durch die Forschung sieht man Nolde klarer, als begnadeten Künstler, der den Expressionismus und die Moderne maßgeblich geprägt hat, moralisch aber zwiespältig zu bewerten ist. „Das sind Ambivalenzen, die man heute vielleicht aushalten kann“, sagt auch Aya Soika. Auf jeden Fall ist diese Widersprüchlichkeit spannend, denn sie kratzt an überkommenen Mustern der Verdrängung, die als spätes Erbe noch aus der NS-Zeit und dem Versuch ihrer Überwindung durch schwarzweiße Denkmuster stammen.