Düsseldorf. . An der Düsseldorfer Rheinoper zeigt Regisseur Philipp Westerbarkei Gounouds „Roméo et Juliette“ als Primadonnen-Party – mit ungewohntem Ende.

Vorwärts, rückwärts, seitwärts, Step: Wo sieht man einen ehrwürdigen Opernchor als „Chorus Line“? Am altehrwürdigen, neuerdings vom Abriss bedrohten Düsseldorfer Opernhaus. Die hüftschwingende Choreographie ist eine Art Wiederbelebungstanz: Denn Charles Gounods „Roméo et Juliette“ droht nicht allein dem Stoff nach der Exitus infolge von Ekstase.

Philipp Westerbarkei pumpt frisches Tänzerblut ins Werk

Von großen Festspiel-Galas abgesehen, ist die Shakespeare-Vertonung des Ober-Parfümeurs der französischen Oper vom einstigen Chartstürmer gewissermaßen zu einer populären Rarität geworden. So pumpt der junge Regisseur Philipp Westerbarkei besagtes Tänzerblut in das siechende Werk. Allein: Bei der achten Drehung um sich selbst, fühlt man sich (auch wegen der Schmalzlocken, der Spots, der kitschpinken Vernebelungen) eher an die „West Side Story“ erinnert, zu der jemand versehentlich die falsche Platte aufgelegt hat. Andererseits versprüht die so wahrnehmbar gewollte Bewegtheit der Society von Verona bald monotonen Aktionismus.

Luiza Fatyol und Ovidiu Purcel auf der Düsseldorfer Bühne.
Luiza Fatyol und Ovidiu Purcel auf der Düsseldorfer Bühne. © Hans Jörg Michel

Westerbarkei will viel und tut viel. Manchmal mehr als im Stück steht, auch in den Noten. Seine Julia ist zwischen Glamour und Wahn eine Schwester von „Traviata“ und Lucia di Lammermoor, am Ende versagt sie Romeo gar den Tod zu zweit, kehrt zurück in den Schoß der flachen Partygesellschaft. Seltsam, dass es bei derart viel Ehrgeiz, das Stück Richtung Spannung zu biegen, dennoch nicht zur Charakterschärfe reicht. Dafür wummert ein unstetes Herz über die Lautsprecher, wenn das Orchester schweigt, und ein junges Paar, das die Titelrollen (in bedenklicher Nähe zum Kunstgewerbe) verdoppelt, zeigt jene physische Emotions-Akrobatik, die den Opernsängern versagt ist. Platz dafür haben sie: Tatjana Ivschina lässt für den dreistündigen Abend die Bühne weitgehend kahl: Ihr Opern-Italien siedelt irgendwo in den letzten 50 Jahren mit reichlich Stühlen (die vom Ball bis zur Beerdigung brav alles ertragen) und einer (handwerklich leider sehr billig aussehenden) Madonnengrotte.

Ovidiu Purcels Roméo und Luiza Fatyols Juliette überzeugen

Musikalisch feiern die Titelhelden nicht weniger als einen Triumph: Ovidiu Purcels Roméo besitzt die rare Gabe eines poesiebegabten Tenor mit heldischer Durchschlagskraft, Luiza Fatyol ist vom mädchenhaften Sopran zwar weit entfernt, dafür wartet diese Dame Capulet mit edlen, samtig umwebten Primadonnen-Einlagen auf, die allein bei Spitzentönen und Koloraturen in Gefahr sind. Viele andere Partien sind gut besetzt, in der kleinen Rolle des Herzogs von Verona fällt eine große Stimme auf: Vom Bass-Balsam des jungen Armeniers Sargis Bazhbeuk-Melikyan wird man hoffentlich bald mehr hören.

Veronas Society, einzig Partyvolk – so ist es in Düsseldorf zu sehen.
Veronas Society, einzig Partyvolk – so ist es in Düsseldorf zu sehen. © Hans Jörg Michel

Düsseldorfs Symphoniker erspüren unter David Crescenzi Kopf- und Herznoten der süßlich schweren Parfüm-Partitur mit größter Wertschätzung – und der Gabe kammermusikalischer Seelenkundler. Jubel für die Orchester und Sänger, geneigter Applaus für die Regie. Das Premierenpublikum war nicht gerade tragisch gerührt, aber angenehm zufrieden.

Karten und Termine: Tel. 0211/89 25 211; operamrhein.de.

Szenenfotos zu Gounouds „Roméo et Juliette“ in Düsseldorf

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