Essen. . Interview: Opernstar Elina Garanča über Moral, Disziplin, gutes Deutsch – und ihre Autobiografie, in der sie beschreibt, was ihr Leben ausmacht.

Mag der Jubel an den Opern von Wien und New York noch so groß sein, Elina Garanča bleibt geerdet: „In meinem Herzen bin ich ein intellektuelles Bauernmädchen“, sagt der große lettische Mezzosopran. Im Mai kommt Garanča nach Essen. Lars von der Gönna sprach mit ihr.

Eine Opernsängerin die melken kann! Lieblingsort der Kindheit: Kuhstall der Großmama – eine der vielen aufschlussreichen Erkenntnisse, die ich der Lektüre Ihrer Autobiografie verdanke. Was trieb Sie an, Ihr Leben aufzuschreiben?

Elina Garanča: Zu sammeln, was da alles war, das war erstmal was durchaus Meditatives für mich, Und es geht um Wahrhaftigkeit. Ich erzähl‘ lieber selbst von mir, bevor irgendjemand seine Projektionen aufschreibt.

Wir lesen von einer Frau, die weder mit Glamour aufwuchs noch danach sucht. Sie berichten, wie Sie als junges Mädchen in Lettland durch Putzen Geld verdient haben. Heute, Weltstar und zweifache Mutter, wappnen Sie sich mit dem Bügeleisen für Premierenstress.

Ich will dieses Leben nicht immer schönschminken und sagen „Alles ist wunderbar“. Beruf und Familie – das heißt für jeden Entbehrung, für meinen Beruf in besonderer Weise. Mit dem Buch will ich ein bisschen die Augen öffnen: Singen ist nicht nur diese paar wunderbaren Stunden auf der Bühne. Oft bringt dieser Beruf uns ans absolute Limit. Manchmal wünsche ich mir, dass Kritiker daran denken, dass wir auch nur Menschen sind und keine Maschinen, die alles perfekt abliefern.

Aber wer übt dann Kritik? Anna Netrebko hat mal zu mir gesagt: „Wenn du ganz oben bist, sagt dir niemand mehr die Wahrheit.“

Genau. Dich umgeben lauter Ja-Sager, die von dir profitieren, sich mit dir schmücken. Von denen kommt natürlich keine Kritik, mit der ein Künstler was anfangen kann. Davon halte ich mich fern. Dafür ist meine Moral, vielleicht schon seit meiner Kindheit, zu wahrhaftig.

Elina Garanča (re.) und Ehemann Karel Mark Chichon.
Elina Garanča (re.) und Ehemann Karel Mark Chichon. © dpa Picture-Alliance / Franz Neumayr

Also bleibt der Perfektionistin Garanča als Kritikerin nur sie selbst?

Ja! Wenn ich einen Fehler gemacht habe, hilft da auch kein Jubel, keine wunderschöne Kritik. Ich weiß ja, dass ich nicht mein Bestes getan habe oder schlampig war. Klar hat dieser Perfektionismus auch etwas Obsessives. Meine Kinder helfen inzwischen, das zu relativieren. Aber einen Fehler, den ich verantworte, wegzuschieben, ist einfach nicht meine Persönlichkeit. Das hat auch mit meiner Würde zu tun. Ehrlich: Wenn ich nach so einem Fehler alles jubelt, fühl ich mich ein bisschen wie einer der bei den Olympischen Spielen auf dem Siegertreppchen steht, obwohl er den Weltrekord gar nicht geschafft hat.

Wie erlebt ein Weltstar den immer größeren Druck der Erwartung?

Meine Position ist: Ihr erwartet neue Weltrekorde, dann bitte unter Bedingungen, unter denen ich sie schaffen kann. Wenn Sie auf der Streif spitze sein wollen, können Sie auch keinen Nebel oder Gegenwind gebrauchen. In der Oper bin ich totale Teamarbeiterin. Tolle Partner feuern mich an, bringen das Beste zum Vorschein. Es hat durchaus was Sportliches.

Wieviel an Ihrem Erfolg ist Talent, wieviel ist Arbeit?

Selbst wenn Sie ein großes Talent haben, reicht Arbeit manchmal nicht aus. Mir wird das immer klarer, von wie vielen Faktoren Karriere abhängig sind: Zufall, gesellschaftliche Wünsche, der richtige Moment, das Kennen der richtigen Menschen…

Sie unterschlagen bescheiden, wie hart sie täglich arbeiten…

Klar: Arbeit, Disziplin, das ist unglaublich wichtig. Aber für noch wichtiger halte ich eine gewisse Wachsamkeit und Offenheit gegen sich und die Welt drumherum.

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Ist das Ihr Rat an junge Sänger?

Tja, ein Künstler, der sehr jung ist und ganz schnell viel Kohle verdienen will und der weltbeste Tenor oder Mezzo werden will, der sollte wirklich verstehen, warum er das macht. Braucht er das, um sich ein Ego zu verdienen? Will er einfach ein dickes Auto? Will er auf diese Weise die Welt erobern? Fehlt ihm Aufmerksamkeit, die er sich durch Schlagzeilen holt? Wissen Sie, jeder von uns, der in dieser Gesellschaft Öffentlichkeit für sich schafft, tut das ja aus einem Grund. Es ist gut, den zu ergründen. Auch um sich an ihn zu erinnern, wenn dieser Beruf mal seine anderen Seiten zeigt: das Alleinsein, die Einsamkeit.

Gibt es einen Königsweg zur vollkommenen Sänger-Karriere?

Nein. Warum der eine große Karriere macht und der andere nicht, ist auch mir am Ende ein Rätsel. Es ist nicht immer die Stimme, es ist nicht immer die Arbeit. Ist es der göttliche Funke, dieses gewisse Etwas, dass man heraussticht? Vielleicht sollte ich froh sein, dass wir es nicht wissen. Sonst gäbe es eine Gebrauchsanweisung und wir Künstler würden geklont.

Ihr charmantes Deutsch verdanken Sie deutschem Privatfernsehen...

Was sollte ich tun? Ich hatte 1998 ein Engagement in Meiningen. Die konnten kaum Englisch, ich kein Deutsch. Unterricht gab es für den Fremdling nicht. Ich dachte: Irgendwie muss ich kommunizieren. Da habe ich nachmittags Talk-Shows gesehen: Bärbel Schäfer, Arabella Kiesbauer – mit einem Wörterbuch auf den Knien, bis ich alles verstand. Die Themen waren natürlich nicht gerade intellektuell: Wetter, Bumsen, Ehekrach. (lacht). Aber ich lernte Umgangssprache. Für die Kantine reichte es erst einmal. Das andere kam mit der Zeit.