Essen. . 35 Produktionen, 147 Veranstaltungen bietet die Ruhrtriennale 2019. Bei der Programmvorstellung gab sich Intendantin Stefanie Carp zurückhaltend.

Die Kunst der mitreißenden freien Rede beherrscht Stefanie Carp womöglich nicht, aber ist das ein Fehler? Muss eine Führungs- und Programmkraft, zumal im eigensinnigen Kultursektor, immer auch Entertainer sein? Und wenn sich die Ruhrtriennale-Intendantin bei der Programmvorstellung im Tanzquartier Pact Zollverein verhaspelt, vom Blatt abliest, gar in zwei Punkten irrt (und von ihren Redner-Kollegen am Pult öffentlich korrigiert wird) – muss man nun Unsicherheit in ihren Auftritt hineindeuten?

Kultur und Politik kommen sich ganz nah in diesen Momenten, in denen die Triennale-Chefin von den Geistern der Vergangenheit umtanzt wird: Das Gehampel um den Auftritt der Band Young Fa­thers (gegen die, wir erinnern uns, Antisemitismus-Vorwürfe laut und immer lauter wurden), das ganze Einladen, Ausladen, Wiedereinladen und darüber Debattieren hat Stefanie Carp im vergangenen Jahr mehr Schlagzeilen eingebracht, als ihr lieb sein kann.

Stefanie Carp am Katzentisch – aber mit Verstärkung

Und als sei sie sich bewusst, dass diese Pressekonferenz auch eine Inszenierung ihres umstrittenen Selbst ist, hat sie sich Verstärkung an ihre Seite geholt: Die ganze gute Stunde über weicht der ungarische Regisseur Kornél Mondruczó nicht von ihrer Seite, mit dem sie eingangs über das Projekt „Evolution“ sprach, gemeinsam lassen sie am runden Tischchen die Redner – Mitveranstalter, Kreative – an sich vorüberziehen; die Redner allerdings am hohen Pult, was eine seltsame Schräglage ergibt. So wirkt Carps Platz wie der Katzentisch. Regie!

Stefanie Carp ist nicht allein, das soll wohl die Botschaft sein, gleichzeitig aber hockt sie also am äußersten Rand des Geschehens, schaut nur gelegentlich auf zu Publikum und Pult. Und muss zu alledem auf ihren berühmtesten Mitstreiter verzichten: Christoph Marthaler, als Stargast des Vormittags angekündigt, schwebt nur als Video-Botschaft über den Dingen – ein „sehr schmerzliches Vorkommen in seiner Familie“ habe ihn ferngehalten, sagt Carp zur Erklärung, sie habe ihn nicht überreden wollen. Er selbst betont, wie schade sein Fernbleiben sei, wie er sich auf Bochum freue – „eine Stadt, die mir sehr ans Herz gewachsen ist“. Diesmal will er im Audimax der Ruhr-Universität inszenieren, womit die Eröffnungspremiere des Festivals die sonst so geschätzten Hallen der ruhrgebietstypischen Industriedenkmäler verlässt.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Armin Laschet?

Nach einer guten Stunde sind die wichtigsten der 35 Produktionen und Projekte bekannt, haben die Beteiligten sich vorgestellt. Nicht darunter übrigens: Carps Co-Chef und Aufpasser Jürgen Reitzler. Dafür umso raumgreifender und engagierter: Geschäftsführerin Vera Battis-Reese. Also beendet Carp die Veranstaltung, denn: „Wir sind im letzten Jahr dafür kritisiert worden, dass die Pressekonferenz viel zu lange gedauert hat.“

Noch Fragen? Nur eine: Wie ist denn die Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Armin Laschet? „Ich arbeite im Alltag nicht so viel mit Armin Laschet zusammen“, erntet Carp einen Achtungs-Lacher. Aber: „Er hat mir geschrieben, er würde zur Eröffnung kommen, wenn seine Zeit es erlaubt.“ Da könnte er auf Christoph Mar­thaler treffen. Wenn der nicht wieder verhindert ist.

Zum Programm: Die Triennale als „Zwischenzeit“

840 Künsterlerinnen und Künstler, 35 Produktionen, 147 Veranstaltungen, für die es insgesamt 35.000 Tickets gibt: Die Ruhrtriennale – vom 21. August bis zum 29. September 2019 – ist für eine „Zwischenzeit“ erfreulich ausufernd.

In ein futuristisches Weltparlament will Christoph Marthaler mit seinem Musiktheater „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ das Audimax der Ruhr-Uni verwandeln – und ein post-demokratisches Europa zeigen. Auch Heiner Goebbels blickt mit „Everything that Happened and Would Happen“ ab dem 23.8. in Bochums Jahrhunderthalle auf Europas Geschichte. Kornél Mundruczó schlägt mit „Evolution“ (5.9.) ebendort die Brücke zu György Ligetis „Requiem“. Einen Abgesang auf europäische Werte präsentiert auch die Needcompany mit dem Schauspiel „All the good“ (ab 22.8. in Gladbeck). Mit Hans Magnus Enzensbergers Text „Die große Wanderung“ thematisiert Norbert Lammert fremdenfeindliche Übergriffe (8.9., Bochum).

Die Konzertreihe gibt sich gewohnt bunt: Das Chorwerk Ruhr ist mit „Coro“ (31.8./1.9.) gemeinsam mit den Duisburger Philharmonikern in Gladbeck zu Gast, Sylvain Cambrelings Klangforum Wien spielt in Essens Kokerei Zollverein (14./15.9.). Im Maschinenhaus Essen gibt es (fast) alles über Impro-Rock, Hardcore-Metal bis Percussion, in der Duisburger Gebläsehalle Sängerin Kat Frankie und die Woods of Birnam (13.9.) sowie geballte Frauenpower: mit Rapperin Ebow und Sängerin Ebony Bones (22.9.).

Eine bunte Glasfassade von Olu Oguibe

Künstlerisch wird einmal mehr Olu Oguibe das Bild der Triennale prägen – und die Glasfassade der Jahrhunderthalle in „Colours of Europe“ tauchen. Tony Cokes wird auf Einladung der Urbanen Künste Ruhr die Multimedia-Installation „Mixing Plant“ auf Zollverein zeigen. Ein Auftragswerk ist die Performance der Künstlerin Candice Breitz im Museum Folkwang.

An junge Triennale-Besucher ab 12 Jahren richtet sich Jetse Batelaans Performance „(....) – Ein Stück, dem es scheißegal ist, dass sein Titel vage ist“ (ab 18.9., Essen) sowie die Produktion „#nofear: Macht den Weg frei“. Und in Duisburg-Hochfeld soll es Freiraum für Austausch geben: „#nofear: Safe Space“.

Tickets: www.ruhrtriennale.de