Mülheim. . Im Theater an der Ruhr wird Ibsens Kosmos der Grausamkeiten beherzt verdichtet. Das Ereignis des Abends: Petra von der Beek als Witwe Alving.

Wer dem ausgestorbenen Großbürgertum Europas nachtrauert, dem helfen Henrik Ibsens „Gespenster“ rasch über den größten Schmerz hinweg. Ein Abgrund ist eine Pfütze gegen das, was Kammerherr Alving den Seinen hinterlassen hat. Ein syphilitischer Säufer und Rohling war er. Seine Vergewaltigung eines Stubenmädchens schenkte dem früh in andere Obhut gegebenen Sohn Osvald die Halbschwester Regine. Für 300 Taler schob man ihre schwangere Mutter einst dem primitiven Engstrand unter. Alving ist tot: Seine Opfer gleichen lebenden Leichnamen.

Den Kosmos der Grausamkeiten verdichtet in Mülheims Theater an der Ruhr Simone Thoma zur Geisterstunde der Lügen. Herb zusammengestrichen auf ein Fragment von Skizzen gerät die Eröffnung. Im Bühnenraum Adriana Kocijans ragt – Trümmern eines Schiffes gleich – aus der Leere der Spielfläche abgewrackter Glanz: dem Konzertflügel fehlt ein Bein, den Lüstern die Kerzen – und da, wo es noch feines Obst und Fasan gibt, eskortieren die guten Dinge als „memento mori“ die Verkommenheit der Gegenwart.

Es braucht von diesen pausenlosen 110 Minuten nicht wenige, ehe der Abend in Fluss kommt. Was anfangs Elegie sein will, wirkt hohl, unterspannt, beliebig fast. Vom enormen Rhythmusgefühl, von der überragenden szenischen Musikalität der großen Arbeiten Roberto Ciullis ist die erste Hälfte des Abends weit entfernt. Doch Thoma zieht an Ibsens Seite die Schlinge dann noch souverän zu. Wann sah man die Szene, in der der scheinheilige Pastor Manders und die Witwe Alving die Vertuschung der unehelichen Katastrophe entrollen, unter so grässlichem Gelächter derart ins Monströse wuchern? Komplizen, alle miteinander. Auch das macht den Abend zu einer mitleidlosen Freak-Show.

Im Vorfeld als Anti-Besetzung gefürchtet, szenisch durchaus schlüssig ist die Besetzung des nunmehr 84-jährigen Theaterprinzipals mit der Rolle des Osvald. Die verstörende Beiläufigkeit, mit der der 27-jährige Todgeweihte das Landgut am Fjord ein letztes Mal aufmischt, serviert Ciulli mit wirrköpfiger Distanz, längst nur noch Gast auf Erden. Klaus Herzogs Manders ist von manierierter Aasigkeit, Dagmar Geppert und Steffen Reuber modellieren die (auch weil die Mülheimer Fassung die zentrale Brandkatastrophe extrem degradiert) wenig dankbaren Rollen der Engstrands respektabel aus. Mit weitem Abstand heißt das Theaterereignis Petra von der Beek als Helene Alving. Ausgebrannter Salonschlange, hingebungsvolle Mittäterin, waidwundes Muttertier: Ein schauriger Genuss, dieses mehr als janusköpfige Porträt betrachten zu dürfen. Freundlicher Beifall.

Termine: 17., 24. und 29. März; 3., 6., 8. und 12. April. Karten: Tel. 0208 / 599 01 88