Hamburg. . Der Brexit macht ihn sauer. Zieht Stargeiger Nigel Kennedy nach Berlin? Ein Gespräch vor seinem Konzert in Essens Philharmonie.

Mag er auch zarte Serenaden spielen: Nigel Kennedy schätzt das kräftige Wort. „Brek-shit“, nennt der 62-jährige Geiger die Ereignisse in Großbritannien, und kündigt den Gang ins Exil an. Nächste Woche gastiert der Musiker in Essen. Christoph Forsthoff traf ihn zum Gespräch.

Dieses Mal reisen Sie noch ohne Grenzkontrolle nach Deutschland...?

Kennedy: Mann – ich bin seit 40 Jahren ein Bürger Europas! Als im Oktober in London fast 700000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um für ein zweites Referendum zu demonstrieren, fand ich das wunderbar – und das obwohl es so viel an Falschinformationen gegeben hat, was der ‚Brekshit‘ letztlich für die Briten bedeutet. Viele wissen gar nicht, was sie anrichten mit ihrem Votum. Ich bin von diesem Szenario peinlich berührt…

…inwiefern?

Mir ist es peinlich, britisch zu sein – obwohl ich halber Ire bin… Doch gerade als Musiker gehören wir alle zu einer internationalen Gemeinschaft und unterscheiden nicht zwischen Indern und Franzosen, Juden und Heiden. Bei uns gibt es keine Ausgrenzung, als Musiker lernen wir überall auf der Welt voneinander – und insofern bin ich stolz darauf, ein Bürger Europas zu sein. Wahrscheinlich werde ich Großbritannien verlassen…

Sauer über den Brexit: Nigel Kennedy will auswandern, verrät er im Interview

Was? Sie planen auszuwandern?

Ich werde Großbritannien verlassen und dann schauen, wer mich in seinem Land aufnimmt – vielleicht lasst Ihr Guys mich ja nach Berlin ziehen (lacht)…

Aber für ein paar Konzerte werden Sie schon noch nach Großbritannien zurückkehren?

(lacht): Wir werden uns bemühen – schließlich kann ich all die Affen dort ja nicht für immer allein lassen, obwohl ich eigentlich nicht länger Bürger eines Staates sein möchte, der von solch einem engstirnigen Denken geprägt ist.

Zur Musik: Warum gibt es heute keine jungen rebellischen Geiger mehr, wie Sie einer waren?

Heute ist alles Business – die eigene Karriere und das Geschäft sind weit wichtiger als die Musik. Mir war es damals als junger Geiger gleich, ob ich nun mein Geld auf der Straße verdienen oder eine große Karriere machen würde – ich wusste, es genügt zum Überleben und das hat mir gereicht.

Die Zeit der Rebellion ist für die Musik vorbei, glaubt Stargeiger Kennedy. Bald spielt er in Essen

Nun, schlecht bezahlt, hätten Sie zweifellos auch nicht gespielt… Aber für mich war das Geld nie die Motivation, während heute viele Musiker sich vor allem um ein möglichst effektives wirtschaftliches Netzwerk kümmern, anstatt sich um die Musik zu bemühen.

Gibt es für Musiker überhaupt noch Grund zur Rebellion?

Tja, alle Schlachten sind geschlagen – selbst jene gegen die Plattenlabels, die sich gegen eine freie Verteilung der Musik gesträubt haben. Doch all diese Monopole sind zerstört worden – insofern stellt sich tatsächlich diese Frage.

In Ihrem Essener Programm mixen Sie Gershwin mit Bach...

Das funktioniert. Die Tatsache, dass beide vollendete Tastenkünstler waren und vom Klavier her komponierten, verbindet sie ebenso wie die harmonische Entwicklung und die originelle Behandlung der Architektur in ihren Werken.

Improvisieren war für Nigel Kennedy nicht nur in der Musik ein Lebensmotto

Und was unterscheidet sie?

Mit Bachs Musik improvisiere ich nicht – während ich mich Gershwin schon auf eine sehr improvisierende Art nähere.

Improvisiert scheint auch so mancher Schritt in Ihrem Leben – lautet Ihr Lebensmotto eigentlich noch immer „Wenn mir jemand sagt, was ich tun soll, mache ich einfach das Gegenteil“?

Inzwischen haben die Leute begonnen, mich zu durchschauen – manchmal sagen sie mir jetzt schon das Gegenteil dessen, was sie eigentlich wollen. Insofern muss ich jetzt immer einen Schritt weiterdenken... (lacht)

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INFOS ZUM KONZERT

Am 13.März, 20h, gastiert Nigel Kennedy in Essens Philharmonie. Karten (41,70-96,70 €) unter 01806/570070.

Programm: „Bach meets Kennedy meets Gershwin“. Der Geiger reist mit Ensemble an.