In der neuen Netflix-Serie „After Life“ schlüpft Comedian Ricky Gervais in die Rolle eines verbitterten Witwers, der nicht mehr zu verlieren hat
Wenn einem der Boden unter den Füßen weggerissen wird, kann man sich auch einfach fallen lassen. Hat man nichts zu verlieren, ist alles egal. Tony (Ricky Gervais, Bild) pfeift auf Freundlichkeit, politische Korrektheit und überhaupt auf das, was die anderen von ihm denken. Seit seine Frau Lisa vor einigen Monaten an Krebs starb, ist das Einzige, was ihn davon abhält, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen, ihre Schäferhündin Brandy (Bild). Die Tatsache, dass er ihren Napf füllen muss, ist der einzige Grund, überhaupt noch das Haus zu verlassen und sich zu seinem sinnlosen Job zu schleppen. Tony arbeitet bei einer örtlichen Gratis-Zeitung und schlägt sich mit Nasenflötisten und anderen Spinnern rum, die auf ihre fünfzehn Minuten Ruhm in dem Provinzblatt hoffen.
Seine Kollegen leiden unter Tonys kaltschnäuziger Ehrlichkeit und seiner Egal-Attitüde. Sein Chef Matt, Lisas Bruder, lässt Tony alles durchgehen und sorgt sich um dessen Wohlbefinden. Sein Psychiater ist vollkommen mit sich selbst beschäftigt und der Obdachlose Junkie Julian wird zu seinem Drogendealer. So driftet Tony durch sein Leben, das jederzeit enden könnte – wenn es nach ihm ginge.
Irgendwie doch liebenswert
Der Auftakt von Gervais’ neuer Serie ist desaströs. Für seinen Protagonisten könnte der Anfang der ersten Episode genauso gut das Ende sein. Tony ist alles andere als ein Sympathieträger, ein rüder Mistkerl, der auf den Gefühlen anderer herumtritt. Man müsste ihn eigentlich dafür hassen. Aber dann sind da die Heimvideos, die er immer wieder, mit dem Whiskyglas im Anschlag, daheim auf dem Laptop anschaut. Diese Rückblenden zeigen sein Leben mit Lisa, wie sie sich ergänzen, wie sie ihm Ratschläge auf den Weg gibt, wissend, dass sie ihn nicht mitgehen kann.
Es ist diese Mischung aus Tragik und Komik, die kaum jemand so beherrscht wie Gervais. Seine Hitserien „The Office“ und „Extras“ lebten von dieser schmerzhaften Komik. Die Lacher machte er meist auf Kosten seiner Figuren. Das ist bei „After Life“ anders. Der Humor ist gereifter, ernsthafter, aber nicht weniger schreiend komisch. Nur lacht man eben mit einer Träne im Augenwinkel.
Zwischentöne überzeugen
Die erste Staffel der Netflix-Serie umfasst sechs Folgen und die anfänglich vielleicht aufkeimende Befürchtung, seine Hauptfigur würde im Stillstand ihrer kläglichen Existenz verharren, zerstreut sich bald. Tonys Entwicklung geht sorgfältig vonstatten. Gervais verrät seine Figur nicht, die leisen Zwischentöne zeugen davon, dass Tony kein grundsätzliches Arschloch ist.
Natürlich ist Ricky Gervais’ Kosmos wieder von allerlei schrägen Charakteren bevölkert, zu denen man gerne zurückkehrt. Viele der Darsteller kennen Fans seiner früheren Arbeiten, allen voran die Schottin Ashley Jensen, seine Bildschirmpartnerin in „Extras“. Nach seiner Regiearbeit „Special Correspondents“ ist Gervais, der die Serie schrieb, inszenierte und für Netflix produzierte, nun erneut auf dem Kanal des Streaming-Giganten zu sehen.
After Life
Sechs Episoden, je 30 Min., ab 8. März,
Onlinestreaming, Netflix
FSK k.A., 5 von 5 SternenWertung: