Gelsenkirchen. . Große Oper im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier: Die mätzchenfreie Interpretation von Regisseurin Rahel Thiel wird einhellig umjubelt.
Ausgerechnet im Kleinen Haus und ausgerechnet mit einer kammermusikalisch reduzierten Fassung gelingt dem Musiktheater im Revier überraschend große Oper. Mit Peter Tschaikowskis tief traurigem Herz-Schmerz-Drama „Eugen Onegin“ feierte in Gelsenkirchen ein atmosphärisch dichtes, intimes Psychotheater einhellig umjubelte Premiere. Das Publikum honorierte mit großem Beifall die sensible, stimmige und mätzchenfreie Sicht von Regisseurin Rahel Thiel auf ein zutiefst menschliches Seelendrama rund um verschmähte Liebe.
Auf dem Steg nah am Publikum
„Eugen Onegin“, angelehnt an eine Erzählung von Alexander Puschkin und 1879 uraufgeführt, ist angesiedelt in der unendlichen Weite der russischen Landschaft, in der sich die Menschen langweilen und nach Liebe und Zerstreuung sehnen. Bühnenbildner Dieter Richter schafft dafür auf beschränktem Platz einen scheinbar weiten Raum. Die von Birkenwäldern inspirierte Bühne geht optisch in die Tiefe und ragt dank eines Steges mitten hinein in den Zuschauerraum und hoch bis in den Rang. Die Akteure nutzen den Steg zwar vor allem als Auf- und Abgang, sind dadurch aber immer wieder hautnah dran am Zuschauer. Die raffinierte Lichtregie (Patrick Fuchs) lädt den Raum variabel auf.
Auch das Kammer-Orchester der Neuen Philharmonie Westfalen unter dem Dirigat von Thomas Rimes ist im Parkett positioniert und so stets mittendrin im Geschehen.
Bele Kumberger mit jugendlichem Sopran - Sehnsucht
Erzählt wird die Geschichte der jungen, naiven Tatjana, die sich unsterblich in den arroganten Lebemann Eugen Onegin verliebt, der sie aber brüsk zurückweist. Auch die kleinste Nuance dieser Rolle arbeitet Bele Kumberger leidenschaftlich überzeugend mit jugendlichem Sopran heraus, gibt Sehnsucht, Angst und Verzweiflung berührend Stimme und Gesicht. Bariton Piotr Prochera, im ersten Akt eher brav, läuft vor allem in der Schlussszene, die ihn zum Verlierer macht, zur Hochform auf. Seinen Freund, den Dichter Lenski, singt Khanyiso Gwenxane nobel und elegant, die junge Olga gibt Lina Hoffmann mit geschmeidigem Mezzo. Satt und warm die Stimmen von Noriko Ogawa-Yatake als Larina und Almuth Herbst als Filipjewna, herrlich komödiantisch Tobias Glagau als angeheiterter Triquet, mit stattlicher Tiefe ausgestattet Michael Heine als Fürst Gremin. Kraftvoll, homogen und spielstark glänzt der Opernchor (Einstudierung Alexander Eberle).
Die eigentliche Überraschung, aber auch der Wermutstropfen ist die Weimarer Kammerfassung von André Kassel, die mit nur elf Musikern, darunter Pianist und Akkordeonspieler, auskommt. Einigen Szenen wünschte man da doch eher den satten, schwelgerischen Tschaikowski-Sound. In den lyrischen Momenten aber gibt gerade der schlanke, intime Ton, aufgeheizt durch fiebrige Akkordeon-Sequenzen, dem emotionalen Krimi die suggestive Spannung.
Tiefe und Schwermut der russischen Seele
Die Sicht von Rahel Thiel setzt erfolgreich auf die Tiefe und Schwermut der russischen Seele. Da ist es nur konsequent, dass sie auch in russischer Originalsprache singen lässt, um diese Stimmung einzufangen. Es wird in deutscher Sprache übertitelt.
Weitere Termine bis 5. Mai. Infos und Karten: Tel. 0209 4097 200.