Essen. . Ferdinand von Schirach gibt in „Kaffee und Zigaretten“ Privates preis – und schreibt über Depressionen sowie einen Suizidversuch mit 15 Jahren.

Das lakonische Stakkato ist seit zehn Jahren das Markenzeichen des Ferdinand von Schirach. Besonders in seinen Storybänden („Verbrechen“, „Schuld“, „Strafe“) hat der ehemalige Strafverteidiger das nüchterne Abhandeln von schicksalhaften Sündenfällen perfektioniert, bei gleichzeitiger Überhöhung höchst profaner Alltagsszenen – ein Stil, der Distanz schafft, Schreiber und Leser heraushält aus den geschilderten Dramen. Das kann man mögen oder nicht; Masche aber ist dieser Stil keineswegs, sondern – wie von Schirachs jüngster Wurf offenbart – überlebensnotwendige Gegenwehr angesichts der Zumutungen des Daseins. Denn nur mit ebensolcher Distanz kann, so dürfen wir nach der Lektüre von „Kaffee und Zigaretten“ vermuten, der Autor den Blick auf sich selbst ertragen.

So vertraut also der Stil, so fremd die Offenheit, mit der Ferdinand von Schirach zu Beginn erzählt: Von einer Kindheit, die in bernsteinfarbenes Licht getaucht ist, von Fuchsjagden und Seidentapeten, vom Internat und der Beerdigung des Vaters, den er seit Jahren nicht gesehen hat. Ferdinand von Schirach ist 15 Jahre alt, ein Fahrer der Familie fährt ihn nach München zur Trauerfeier, allein.

Ferdinand von Schirachs Selbstmordversuch

Ein paar Wochen später sind Herbstferien, eines Abends betrinkt er sich an der Hausbar mit anderthalb Flaschen Whiskey, nimmt eine der Schrotflinten aus dem Keller, setzt sich im Park an den glatten Stamm der Ulme: „Von hier sieht er im Morgenlicht das alte Haus mit der Freitreppe und den weißen Säulen, der Rasen im Rondell ist frisch gemäht, es riecht nach Gras und nach Regen... Er nimmt den schwarzen Lauf des Gewehrs in den Mund, es ist eigenartig kalt auf der Zunge. Dann drückt er ab.“

Am Morgen findet ihn der Gärtner: „Er war so betrunken, dass er keine Patrone eingelegt hat.“

Das ist eine berührende Passage, eine von vielen, aber auch eine entlarvende – will der sturzbetrunkene 15-Jährige wirklich Gras und Regen gerochen haben? Natürlich nicht. Ferdinand von Schirach bleibt in seiner Rolle als Beobachter, er nähert sich seinem jugendlichen Selbst mit größtmöglicher Vorsicht. Ebenso skizzenhaft legt er Zeugnis ab von seinen Depressionen, die er als ölige Überflutung beschreibt, „alles wird glatt und verliert seine Struktur“ – er atmet das Öl ein, „wird taub, und dann ist er selbst das blauschwarze Öl.“

„Kaffee und Zigaretten“ ist eine Wundertüte

Buch & Lesungen

Ferdinand von Schirach : Kaffee und Zigaretten. Luchterhand, 192 S., 20 €. Ab 4.3. im Handel. Das Hörbuch liest Lars Eidinger (Der Hörverlag, 17 €).

Lesungen: 26.3. in Köln im WDR-Funkhaus im Rahmen der LitCologne; 28.5. im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Wer nach diesem Auftakt auf den ersten 14 Seiten erwartet hat, nun würde man dem Menschen von Schirach näher kommen, wird enttäuscht. Der Band ist eine Wundertüte mit 48 Texten: Es geht um Begegnungen mit Mandanten, aber auch mit Schriftstellern wie Imre Kertèsz, Lars Gustafsson, es geht um den Filmemacher Michael Haneke und den Raucher Helmut Schmidt, es geht um die 68er, um Ausmalbücher, um Antisemitismus. Alltagsbeobachtungen wechseln sich ab mit Kürzestgeschichten über Männer und Frauen, die auf Reisen sind oder in Krisen, die neu anfangen oder nicht, die morden oder nicht, bereuen oder nicht.

Auch über das Treffen mit einem Kunsthistoriker schreibt er: Mit dem Nazi-Erbe vor allem seines Großvaters Baldur hat sich von Schirach schon häufig auseinandergesetzt. Vor Jahren gab er ein Gutachten in Auftrag, das mögliche Raubkunstfälle in der Familie aufklären soll und kurz vor der Veröffentlichung steht. Er habe verstanden, schreibt er, „dass Aufklärung den Opfern manchmal hilft. Nur wenn wir das Böse kennen, können wir damit weiterleben.“

Ferdinand von Schirach über seinen alten Mercedes

Vielleicht ist er deshalb Strafverteidiger geworden, das Böse zu ergründen? Um zu erkennen, „dass die Frage, ob der Mensch gut oder böse ist, eine sinnlose Frage ist“? Denn der Mensch könne ja Kunst schaffen oder Kriege führen: „Es ist immer der gleiche Mensch, dieser strahlende, verzweifelte, geschundene Mensch.“

Erst am Ende des Buchs öffnet sich von Schirach noch einmal, wenn er (selbstredend in der dritten Person) vom Kauf seines alten Mercedes erzählt; ein „Strich 8“ von 1968, schnörkellos und durchschnittlich, und von einer langen Sommerfahrt, in der er den bernsteinfarbenen Kindheitstagen nachspürt: „Immer hat er gewartet, ohne zu wissen worauf. Er ist sich sicher, sein Leben vertan zu haben, aber etwas anderes ist ihm nicht möglich gewesen.“ Und weiter: „Es gibt keine Pflicht zu leben, jeder scheitert auf seine eigene Weise.“

Dem Werkstattbesitzer hatte er versichert, doch, er wolle genau dieses Allerweltsmodell restaurieren lassen: Er möge „nun einmal Dinge, deren vorgesehene Lebensdauer weit überschritten sei.“