Washington. . Kein Zeremonienmeister, Streit um Kategorien – und die Debatte um Netflix: Top-Favorit der Verleihung ist „Roma“ mit zehn Nominierungen.

Es ist ja nicht so, als hätte das alljährliche Oscar-Brimbamborium die „Goldene Himbeere“ nicht schon früher verdient gehabt, den Preis für die miserabelste Filmleistung des Jahres. Mal wurden die Stimmzettel für die Abstimmung der 8000 Juroren von der Post verbaselt. Mal gingen die goldenen Preis-Statuettchen verloren und tauchten erst in letzter Minute in einem Müllcontainer in Los Angeles wieder auf. Von peinlichen Siegerumschlagsverwechselungen, dubiosen Dankesreden und vierstündiger Selbstbeweihräucherung ganz zu schweigen.

Das alles verblasst vor den Filmrissen, die sich die Verantwortlichen vor der 91. Ausgabe geleistet, die am Sonntagabend (in Deutschland ab Sonntag 2 Uhr live auf ProSieben) im Kodak-Theater in Hollywood über die Bühne geht. Zum ersten Mal seit 30 Jahren findet die zwischen Kunst und Kommerz tingelnde Chose ohne Zeremonienmeister(in) statt, der (oder die) den Stars launig auf die Zehen tritt, ohne jemandem zu nahe zu treten. Nachdem die „Academy of Motion Pictures Arts and Sciences“ vergeblich an Dwayne „The Rock“ Johnson herumgekraxelt war, kam man auf dessen weniger muskulösen Film-Kompagnon Kevin Hart. Schwulenfeindliche Sprüche aus grauer Vorzeit katapultierten den afro-amerikanischen Komiker politisch überkorrekt aus der Bahn. Weshalb die Oscars diesmal anarchisch vonstatten gehen, sprich: führungslos. Niemand wollte für Hart in die Bresche springen.

Historischer Oscar-Tiefpunkt bei den Quoten

Auch nicht Billy Crystal, der neun Mal die Rolle des Conférenciers übernahm. Im „Titanic“-Jahr 1998 führte er singend, steppend und tanzend durch die meist gesehenen Oscars aller Zeiten: 58 Millionen Zuschauer; allein in den USA. Diesmal wäre der vom Disney-Konzern geführt TV-Sender ABC schon heilfroh, wenn sich die Filmstörung vom vergangenen Jahr nicht wiederholen würde: 26,5 Millionen Zuschauer. Historischer Oscar-Tiefpunkt. In der wichtigsten Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen, die sich von Frauenfeind Harvey Weinstein und mangelnder Vielfalt in Jury und Film-Angebot abgetörnt fühlte, lag der Schwund gegenüber 2017 bei fast 25 Prozent. Weil die Film-„Academy“ aber 80 Prozent ihres Jahresbudgets von 160 Millionen Dollar aus den TV-Geldern bestreitet, „muss in diesem Jahr die Wende gelingen“, sagte bei der Verleihung der Auslands-Emmys ein Produzent unserer Zeitung, „sonst kann man die Oscars bald vergessen.“

Aber die „Academy“ machte neue Knallchargen-Fehler. Um die Show auf drei Stunden einzudampfen, sollten die Auszeichnungen für beste Kamera, bester Schnitt, beste Maske/Frisuren und bester Kurzfilm nicht live übertragen werden. Erst als Schwergewichte wie Quentin Tarantino öffentlich die Herabwürdigung zentraler Sparten des Film-Handwerks geißelten, machte Academy-Chef John Bailey einen Rückzieher.

„Roma“ ist mit zehn Nominierungen der Top-Favorit

Zu den Unterzeichnern des an ihn gerichteten Protestschreibens gehört auch Alfonso Cuarón. Der mexikanische Regisseur steht unfreiwillig für die nächste Kontroverse. Sein Film „Roma“, eine in Schwarz-Weiß gedrehte Sozialmilieu-Studie aus dem Mexiko der 70er-Jahre, ist mit zehn Nominierungen der Top-Favorit. Allein, noch nie hat ein auslandssprachiges Werk den Preis für den „besten Film“ gewonnen. Noch dazu einer, der nicht von einem traditionellen Hollywood-Studio gedreht wurde. Sondern vom Branchen-Buhmann und Streaming-Krösus Netflix. Darf das? Geht das?

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Gewinnt Cuarón, könnte schließlich Donald Trump auf den Plan treten und von einer Karawane mexikanischer Regisseure sprechen, die Amerikas national-cineastische Sicherheit bedroht. Alejandro González Iñárritu, Guillermo del Toro und Alfonso Cuarón haben von den letzten fünf Oscar-Rennen um den besten Regisseur vier gewonnen. Mit „Roma“ wären es fünf von sechs.

Glenn Close will endlich gewinnen

So weit will Glenn Close gar nicht denken. Die 71-Jährige, sieben Mal nominiert gewesen und immer leer ausgegangen, will endlich gewinnen. In „Die Frau des Nobelpreisträgers“ spielt sie den Schatten ihres Gatten so brillant, dass es zur „beste Hauptdarstellerin“ reichen müsste. Wer ihr den Gold-Jungen übergibt? Zu den eingeladenen „Präsentatoren“ gehören Größen wie 007-Daniel Craig. Sein Kollege Samuel L. Jackson käme als Überbringer in Frage, sollte Spike Lee Geschichte schreiben. Der 61-Jährige wäre im Falle eines Sieges von „BlacKkKlansman“ der erste Schwarze in der Kategorie „beste Regie“.

Gestartet werden die Oscars übrigens mit einer musikalischen Live-Hommage an die Rockband „Queen“, die im Film „Bohemian Rhapsody“ verewigt ist. Rami Malek (als Freddy Mercury) darf sich Insidern zufolge Hoffnungen auf den Preis für den besten Hauptdarsteller machen.