Essen. . Bruno Ganz drang mit Herz und Hirn in Seelentiefen vor. Nun erlag der Schauspieler mit 77 Jahren in seiner Heimatstadt Zürich einem Krebsleiden.
Bruno Ganz war in jeder Hinsicht ein Schauspieler der alten Schule, und im deutschsprachigen Raum ihr größter. Dass er als Titus Andronicus in der Hauptrolle von Botho Strauß’ Shakespeare-Übermalung „Schändung“ erst im April 2006 im Bochumer Schauspielhaus mit den Urnen seiner toten Söhne zufrieden die Bühne betrat und nicht, wie ursprünglich geplant, zuvor am Berliner Ensemble, hatte mit seiner unverrückbaren Auffassung von Schauspiel zu tun: Er mochte nicht zur menschlichen Bekleidung von Regie-Ideen herhalten, mochte sich nicht zur seelenlosen Satzabsonderungs-Puppe degradieren lassen, wie es das Regisseurshandwerk des in verräterischer Weise „postdramatisch“ genannten Theaters unserer Zeit viel zu oft will.
Bruno Ganz war einer, der all seine Rollen bis in Abgründe und Abseitigkeiten erforschte, bevor er sie erfüllte, mit Leben und Tod („Sterberollen“, sagte er einmal, „helfen einem nicht beim Umgang mit dem Tod“), mit Schmerz und manchmal auch Komik, mit Hand und Fuß und Hirn. Mit Seele gewordenem Verstand. Ganz lotete seine Rollen in ihrer Tragweite, Tiefe und Tragik aus, bevor er ihnen Gesicht und Körper gab.
„Der Untergang“ wurde sein Entree für Hollywood
Ihm als denkenden, ja intellektuellen Schauspieler könnte man denn auch jene Rolle anvertrauen, die er mit schrecklicher Menschlichkeit und Distanz zugleich verkörperte und die sein Entree für Hollywood werden sollte: die des Hitler in Oliver Hirschbiegels Filmdrama „Der Untergang“ (2004).
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Da war Bruno Ganz schon längst vom Menschenhinsteller auf der Bühne (mit Anfängen in der legendären Ära des Bremer Schauspiels mit Kurt Hübner und Peter Zadek und einer grandiosen Zeit als elementarer Teil der Berliner Schaubühne mit Parade-Rollen wie Peer Gynt oder dem Prinzen von Homburg) zu einem veritablen Filmschauspieler geworden, der selbst eine absurd anmutende Rollen wie der des Engels in Wim Wenders‘ „Himmel über Berlin“ (1987) mit Würde, ja mit Größe auszustatten wusste. Körperlich von eher kleiner Statur, verfügte er über eine ungeahnte Raum-Präsenz und bewältigte selbst eine seiner wenigen heiteren Rollen als Kellner in „Brot und Tulpen“ (2000) mit kantiger Komik.
1941 in Zürich in einfachste Verhältnisse hineingeboren
Der 1941 in Zürich geborene Ganz stammte aus einfachsten Arbeiter-Verhältnissen und sollte, nachdem er sein Abitur abgebrochen hatte, eigentlich Flachmaler werden, wie in der Schweiz die Anstreicher genannt werden. Doch schon als Schüler brannte er fürs Theater, an der Zürcher Schauspielschule absolvierte er während seines Wehrdienstes Kurse. Und er, der im Jahr 2000 ausgerechnet die Premiere seiner Glanzrolle in Peter Steins 21-Stunden-Faust wegen eines Bühnenunfalls absagen musste, arbeitete zuletzt, bis kurz vor seinem Krebstod am frühen Samstagmorgen mit 77 Jahren in seiner Heimatstadt Zürich, die er im Alter weit mehr liebte als er in der Jugend je ahnte. Von seiner Frau Sabine, die er 1965 geheiratet hatte, lebte er schon lange getrennt; ihr beider Sohn erblindete im Alter von vier Jahren, auch das ließ Bruno Ganz schon früh eine besondere Sensibilität im Umgang mit jungen Menschen entwickeln, wie sie sich dann in seiner Verkörperung des Alm-Öhi in der „Heidi“-Verfilmung von 2015 niederschlagen sollte.
Und er sollte eigentlich bei den Salzburger Festspielen die Rolle des Erzählers in Mozarts „Zauberflöte“ übernehmen – als er die Rolle wegen seiner Erkrankung absagte, wusste man, dass es ernst um ihn steht.
Er vererbt den Ifflandring
Ganz wird den Ifflandring, die höchste deutsche Schauspieler-Auszeichnung, die vom jeweiligen Vorgänger auf Lebzeiten verliehen wird, an einen neuen Nachfolger vererben, nachdem der ursprünglich dafür vorgesehen Gert Voss 2014 gestorben ist. Wer immer auch von Ganz als Nachfolger auserkoren wurde, er wird noch eine Weile brauchen, um in diese großen Fußstapfen hineinzuwachsen.