Bochum. . Am 14. Februar erscheint Frank Goosens neuer Roman „Kein Wunder“: Ein Gespräch über den Mauerfall, die 80er Jahre im Revier – und den Fußball.

Es gab eine Zeit, da wäre das Ruhrgebiet beinahe cool geworden. „Kein Wunder“ aber passierte Ende der 80er Jahre, jedenfalls nicht hier. Frank Goosen (52) ist Revierchronist und trotzdem Humorist geblieben. Mit Britta Heidemann sprach er über den neuen Roman, den Mauerfall und seine (enttäuschte) Liebe zum Fußball.

Herr Goosen, Sie sind mit „Kein Wunder“ zurückgekehrt zum Trio Förster, Fränge und Brocki und reisen zurück in eine Jugend der politischen Umbrüche. Wie haben Sie selbst den Mauerfall erlebt?

Goosen: Der Mauerfall war das prägende historische Ereignis meiner Jugend – aber ich habe ihn daheim in Bochum verpennt. Da ich damals schon versuchte, mich nicht vom normalen Fernsehprogramm abhängig zu machen – Streamingdienste sind für mich erfunden worden! – war ich abends in meiner Butze in der Castroper Straße und habe ein Video geguckt. Und habe nichts mitbekommen. Erst am nächsten Morgen, als es im Radiowecker nur um Berlin ging – da habe ich dann mal den Fernseher angemacht. Und bin fast aus den Latschen gekippt. Ich brauchte als Fernsehkind tatsächlich die Bilder um zu begreifen, was passiert ist.

Die Revierszene damals, die scheint erstaunlich cool.

Das Ruhrgebiet und meine Generation haben sich in den 80er Jahren gegenläufig entwickelt. Zechen und Stahlwerke wurden geschlossen, gleichzeitig ist unheimlich viel Neues entstanden – etwa die soziokulturellen Zentren, die ja auch dazu beigetragen haben, dass Bausubstanz erhalten blieb. Ich war Anfang der 80er Jahren 14, am Ende 24. Für mich persönlich ging es da immer nur nach vorne. Damals gab es auch viele coole Filme, etwa von Adolf Winkelmann, oder Peter F. Bringmanns Theo-Filme. Es hat mich interessiert zu hinterfragen, warum es Berlin gelungen ist, arm aber sexy zu sein – und das Ruhrgebiet ist einfach nur arm, jedenfalls für Außenstehende.

Kein Wunder Frank Goosen
Kein Wunder Frank Goosen © Ho

Ihre Helden prangern den Berlin-Snobismus an, schon damals…

Ich bin gerne und oft in Berlin, aber die Verherrlichung, die damals schon stattfand, und nach dem Mauerfall krankhafte Züge annahm – die nervt. Dabei gibt es für manches ganz handfeste Erklärungen. Wir haben hier keine coolen Häuser, sondern meist nur 50er-Jahre-Siedlungsbauten, da zieht keine Latte-Macchiato-Familie ein. Es gibt ja Phasen, in denen Gentrifizierung gut ist. Damals im Prenzlauer Berg waren die Häuser alle marode, aber man konnte schon sehen, dass man etwas daraus machen kann. Auch deshalb sind da alle hin.

Und der Nahverkehr!

Ja, allerdings. Mein Sohn hatte heute morgen theoretische Fahrprüfung beim Tüv in Herne. Ich habe ihn hingefahren, das dauerte 15 Minuten. Zurück hat er mit Bus und Bahn eine Stunde gebraucht – und wir wohnen ja schon im Bochumer Norden. Da brauchen wir von Metropole nicht zu sprechen!

Wie haben Sie persönlich die Wendezeit erlebt?

Ein Schreckgespenst waren die politischen Entwicklungen. Jetzt soll es wieder ein Deutschland geben! Es gab die Übergriffe aus Ausländer, diese Bilder von Leuten, die im Deutschland-Trikot den Hitler-Gruß zeigen. Politisch habe ich das alles sehr skeptisch gesehen. Aber was mich berührt hat, und noch heute berührt, waren die Reaktionen der Menschen damals, diese „Wahnsinn!“-Rufe. Die plötzlich über die Grenze konnten, ohne erschossen zu werden, die ihre Verwandten besuchen konnten, einander in die Arme fielen. Aber mehr Skepsis und Vorsicht hätte der politischen Elite damals gut getan.

Es gibt einen Satz Försters, der sich durch das Buch zieht: „WG ist nichts für mich.“ Ist das ein Einheits-Kommentar?

Nein, darauf wäre ich gar nicht gekommen! Ich hätte mir damals einfach nie vorstellen können, in einer WG zu wohnen. Es gibt eine Szene, nach der missglückten Liebesnacht mit Beate, da stolpert Förster über die Weingläser, die die Mitbewohnerin vor die Zimmertür gestellt hat. Genau das ist mir bei meiner damaligen Freundin passiert.

Es gibt zwei Frauenfiguren, die diesseits und jenseits der Mauer böse betrogen werden – trotzdem scheinen sie höchst emanzipierte Wesen.

Hätte man mir damals Ende der 80er Jahre gesagt, dass wir 30 Jahre später in mancher Hinsicht in der Geschlechterdebatte weiter zurück sind: Ich hätte das nicht geglaubt. Da muss sich eine Frau gerichtlich verbrieft bestätigen lassen, dass ihre Bank sie als „Kontoinhaber“ bezeichnen darf – das finde ich absoluten Wahnsinn. Hätte ich damals unter Alkoholeinfluss deliriert, dass es je eine Sendung wie „Germanys Next Topmodel“ geben würde, hätte man mich ausgelacht.

Haben Sie damals eigentlich überlegt, nach Berlin zu gehen?

Nicht komplett. Ich habe überlegt, mir da zusätzlich ein Zimmer mieten, aber irgendwie ist es nicht dazu gekommen. Das war die Zeit, als wir mit „Tresenlesen“ anfingen, wir sind da durch ganz Deutschland, die Schweiz und Österreich getourt – aber hatten die meisten Termine doch in NRW. Bochum schien da genau in der Mitte zu liegen… Es bringt ja nichts, nach Berlin zu ziehen, und dann das halbe Jahr in NRW unterwegs zu sein. Es gibt hier so viele coole Orte, auch deshalb ist die Kabarett- und Poetry-Slam-Szene hier so groß.

Wo steht die Revier-Szene heute?

Heute haben wir so ein bisschen das Problem, an dem ich zugegebenermaßen mitgewirkt habe, dass wir zu sehr auf Verklärung setzen. Und wenn mal ein Film gemacht wird, dann immer auf witzige Art und Weise. Was durchaus seine Berechtigung hat, ich finde „Sommerfest“ und „Radio Heimat“ sind tolle Filme. Aber ein Kritiker hat nicht zu Unrecht geschrieben: Er möchte mal einen Ruhrgebietsfilm sehen, der nicht krampfhaft versucht, ein Ruhrgebietsfilm zu sein.

Der Humor ist eines Ihrer prägenden Stilmittel; oft richtet er sich gegen die Figuren selbst.

Ironie und Selbstironie sind für das Schreiben, aber auch für die Haltung zum Leben unheimlich wichtig. Gleichzeitig habe ich einen Sinn für ein gewisses Pathos. Dieser Förster zum Beispiel, der schafft so eine doppelte Distanz. Sein Familienhintergrund ist überhaupt nicht meiner, diese Altachtundsechziger-Professorenfamilien. Aber auch er steht, wie so viele meiner Helden, immer ein wenig außerhalb des Geschehens. Das ist das Gefühl, das ich als sozialer Aufsteiger immer hatte. Ich gehörte eigentlich nirgendwo so richtig dazu. Die Selbstironie kam auf der Bühne ins Spiel. Es ist immer besser, man lacht selbst über sich, bevor die anderen es machen; ich war ja schon als Kind korpulent.

Also sind Ihre Romane doch autobiografisch!

Sagen wir, sie sind eine Mischung aus Ehrlichkeit und Distanz. Es dauert manchmal ziemlich lange, bis man an diesen Punkt kommt. Dazu gehört zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem Fußball. Ich bin der einzige Romanautor, der mal Mitglied im Leitungsgremium eines Profi-Vereins war. Über meinen problematischen Abgang beim VfL möchte ich öffentlich nicht sprechen – aber einen Roman darüber schreiben, wie unfassbar wichtig sich der Fußball nimmt, das würde mich schon interessieren. Ich bin knallharter Fußballfan, trotzdem: Eigentlich ist Fußball nur das, was vor dem Wetter kommt. Es kann nicht sein, dass die Tagesschau eine Minute Sendezeit darauf verwendet, dass Klopp bei Borussia aufhört.

Ihre Söhne sind beinahe erwachsen – wie ist ihr Blick auf das Ruhrgebiet? Gibt es noch die Aufbruchstimmung Ihrer eigenen Jugend?

Mein Ältester macht jetzt Abitur und überlegt, danach ins Ausland zu gehen. Aber diese Generation hat viel mehr damit zu tun, den Status überhaupt zu halten. Ich selbst bin ein klassisches Produkt des sozialdemokratischen Aufstiegsversprechens der 70er Jahre. Mein Vater hatte nie die Möglichkeit, aufs Gymnasium zu gehen, obwohl er Klassenbester war – es fehlte das Geld, er wurde Elektriker. Aber mir, dem Jungen, sollte es mal besser gehen. Und das hat ja auch voll geklappt! Ich habe Abitur gemacht, studiert, ich bin der klassische Bildungsaufsteiger. Meine Kinder können froh sein, wenn sie das Level halten können, auf dem sie jetzt aufwachsen. Ich meine, unter jungen Leuten viel mehr Sorge zu spüren.

Frank Goosens Roman „Kein Wunder“

Die Berliner Mauer trennt und spaltet? Nicht für Fränge: Für ihn ist die Mauer amouröser Segen, kann er doch im Westen die portugiesische Kellnerin Marta lieben und auf Ost-Besuch die Wirtschaftsprüfer-Tochter Rosa. Förster und Brocki können bei ihrem Kreuzberger Besuch nur staunen – und dann refinanziert Fränge den teuren Zwangsumtausch auch noch so virtuos durch den Verkauf von im Westen höchst gefragten DDR-Campingkochern!

Auf den ersten Blick ist Frank Goosens neuer Roman „Kein Wunder“ (Kiepenheuer & Witsch, 352 S., 20 €, ab 14.2.) eine so muntere wie detailgenaue Ost-West-Komödie. Unterhalb der Humor-Welle aber, im tiefen Gewässer, spürt Goosen den Prägungen einer Generation nach, ob sie nun aus reviertypischen Arbeiterhaushalten oder Professoren-Vierteln am Rande der Ruhr-Uni stammen. Was sie eint, noch in Zeiten des Aufbruchs, ist eine entspannte Grundhaltung zum eigenen Sein – denn am Ende wird sich auch das nächste ganz große Ding als Firlefanz und Kokolores entpuppen.

Lesungen und WDR-Doku

Karten gibt es noch für folgende Lesungen: Riff-Halle Bochum, 21. & 24.2., Fritz-Henßler-Haus Dortmund 5.3., Stadtbücherei Gladbeck 6.3., Hans-Sachs-Haus Gelsenkirchen 7.3., Ebertbad Oberhausen 12.3.

Der WDR zeigt am 8.3. die Doku „Mein Revier – Frank Goosen sucht die Seele des Ruhrgebiets“ (20.15 Uhr).