Oberhausen. . 1966 drehte Romy Schneider gemeinsam mit Michel Piccoli im Ruhrgebiet. Aber „Schornstein Nr 4“ floppte. Nun zeigt Oberhausens Lichtburg das Drama
Die erste Erinnerung klingt nicht gerade schmeichelhaft: „Was für eine arrogante Zicke“, schildert Herbert Gospodaries (72) seine Gedanken während einer fast 53 Jahre zurückliegenden Begegnung mit einem Weltstar – an seinem Wohnort. Was den damals 19-Jährigen wurmte: Romy Schneider, die im Frühjahr 1966 für Dreharbeiten an ihrem heute vergessenen Film „Schornstein Nr. 4“ im Oberhausener Stadtteil Borbeck weilt, spricht auch in der Drehpause vor etwa Hundert Schaulustigen ausschließlich Französisch.
Nach dem überwältigenden Erfolg ihrer Sissi-Trilogie hatte Romy Schneider 1958 auf der Suche nach anspruchsvolleren Rollen in Frankreich eine neue Heimat gefunden. Die deutsche Öffentlichkeit nimmt ihr die „Flucht“ übel. Nach vielbeachteten Auftritten in „Boccachio 70“, „Der Prozess“ und „Der Kardinal“ dreht sie 1966 erstmals wieder in Deutschland: in Berlin und im Ruhrgebiet.
„La Voleuse“ (die Diebin) ist ein düsteres Drama
„Schornstein Nr. 4“ – französischer Titel: „La Voleuse“ (die Diebin) – ist Filmgeschichte: Zum ersten Mal steht Romy Schneider mit Michel Piccoli vor der Kamera (der im Dezember 93 Jahre alt wurde). Anders als die fünf weiteren gemeinsamen Filme („Das Mädchen und der Kommissar“) floppt ihr Debüt. Offenbar ist das deutsche Publikum für ein derart düsteres, in bestechend scharfen Schwarz-Weiß-Bildern gedrehtes Familiendrama noch nicht wieder zugänglich.
Im Mittelpunkt steht der verzweifelte Kampf einer in Berlin lebenden verheirateten Frau um ihr unehelich geborenes Kind. Als 19-Jährige hat sie es an einen in Oberhausen lebenden polnischen Einwanderer (gespielt von Hans Christian Blech) abgegeben und will es sechs Jahre später zurück haben.
Die tristen Industrieanlagen der Hüttenwerke
Mit den ebenso tristen wie spektakulären Industrieanlagen der Oberhausener Hüttenwerke findet der französische Regisseur Jean Chapot, der das von der Schriftstellerin Marguerite Duras („Hiroshima, mon amour“) verfasste Drehbuch umsetzt, die passende Kulisse für sein Projekt. Wahrscheinlich erinnerte sich Chapot durch die Kurzfilmtage an Oberhausen, als er eine düstere Kulisse für seinen Film suchte: Er hatte drei Jahre zuvor bei den Kurzfilmtagen 1963 einen Preis für seinen Film „Chronique d’une epoque incertaine“ („Chronik einer unsicheren Zeit“) gewonnen.
Romy Schneider empfindet die neunwöchige Arbeit mit einer kleinen Crew nach mehreren Großproduktionen offenbar als Befreiung. „Es war so ganz ohne Firlefanz“, sagt sie dem Dokumentarfilmer Hans-Jürgen Syberberg, nach dessen Einschätzung die Schauspielerin gerade eine der glücklicheren Phasen ihrer von Selbstzweifeln geprägten Karriere erlebt. Kein Wunder, ist sie doch frisch verliebt, seit kurzem liiert mit dem Schauspieler und Regisseur Harry Meyen. Noch im Sommer heiraten die beiden, am 3. Dezember wird ihr Sohn David geboren.
Borbecker erinnern sich an Romy Schneider
Als „eine ganz Liebe“, die mit ihrem Film-Sohn sehr behutsam umgegangen sei, schildert die heute 92-jährige Helene Rimkus die Hauptdarstellerin, mit der sie in einer Drehpause auf der Straße geplaudert hat – in ihrer Muttersprache. In einer der Schlüsselszenen lauert Romy ihrem Sohn im Hallenbad Sterkrade auf und entführt ihn nach Berlin, von wo aus ihn der Pflegevater zurückholt. Das dramatische Finale spielt sich auf dem Gelände der Hüttenwerke ab, dem heutigen Standort des Centro. Dort steigt der um sein Pflegekind kämpfende Hans-Christian Blech auf den Schornstein Nr. 4 und droht mit Suizid. Nach nervenaufreibenden Diskussionen mit ihrem Ehemann gibt die hin und her gerissene Mutter am Ende ihr Kind frei.
DVD und Matinee
Erstmals wird „Schornstein Nr. 4“ von Jean Chapot wohl im April in einer deutschsprachigen Fassung als DVD (Home Entertainment) erhältlich sein.
Und nach fast 53 Jahren gibt’s „Schornstein Nr. 4“ wieder auf der großen Leinwand – in einer Matinee in der Oberhausener Lichtburg: am 19. Mai um 12 Uhr.
In Borbeck hatten sich viele Bürger nicht entgehen lassen, den Sissi-Star einmal hautnah zu erleben. Auch der 15-jährige Peter Jötten. Wenige Tage, nachdem der Film am 26. August 1966 uraufgeführt worden ist, geht er in froher Erwartung zur Lichtburg in Oberhausen. Dort wird er an der Kasse aber abgewiesen, der Streifen ist erst „ab 16“ freigegeben. Weil er später allenfalls noch im Rahmen von Romy-Schneider-Retrospektiven gezeigt wird, sieht Jötten ihn erst rund 30 Jahre später in einem Internet-Portal.
In einer Rezension des Films, der unter Cineasten heute als verkannte Perle gilt, heißt es: „Jean Chapot ist mit ‚Schornstein Nr. 4‘ ein bemerkenswert düsterer Film über die weite Verzweigung menschlicher Abgründe gelungen, der mit einem Mut zur Tragik überrascht“. Nicht unerwähnt bleiben sollte freilich, dass Oberhausen-Borbeck der heimliche Hauptdarsteller dieses Films ist.