Essen. . Die Ärzte landeten im ersten Anlauf nicht am Strand von „Westerland“. Dies und mehr Verblüffendes bringt die Rari-Box „They’ve Given Me Schrott“.
Niemand soll sagen können, Die Ärzte hätten nicht gewarnt: In ihrer allumfassenden Gesamtwerk-Box „Seitenhirsch“, die die selbsternannte „beste Band der Welt“ kurz vorm Weihnachtsfest auf 33 CDs für 333 Euro unters gutbetuchte Volk warf, ist natürlich auch ein bisschen Ausschuss. Der ist aber noch immer gut genug, dass Bela, Farin und Rod ihn nun in eine 3er-CD-Box packen. Der verheißungsvolle Titel „They’ve Given Me Schrott“ (23,99 Euro, 5er Vinyl 49,99 Euro) trifft’s: Darunter sind viele herzzerreißend holpernde, unfertige Reime und Arrangements, hemmungsloses Herumgespacke und ein paar kleine Sensationen.
So hatten Bela und Farin im Jahr 1985 erst die falsche Fähre gebucht, ihr schwärmerischer Nordsee-Surfsong setzte auf dem ersten Demo nämlich noch nach „Helgoland“ über – im Nachhinein eine derbe Demütigung fürs Sylter Schicki-Hauptörtchen „Westerland“. Die bonzenüberschwemmte Mini-Metropole wiederum erlangte erst durch die doch noch vollzogene musikalische Dünenwanderung pophistorische Unsterblichkeit. Auch für den Song war’s ein Glück, denn erst so konnte die konsumkritische letzte Strophe mit dem hübsch ironischen Fazit „Beinahe jeder Zweite hier ist genauso blöd wie ich“ entstehen. Ein sturmflutgroßer Hit für die Ärzte, der seine Wellen bis in die Alpen schickte.
Wie „Eva Braun“ in die BBC kam
Wer den Anspruch hat, zur „besten Band der Welt“ zu gehören, dem reicht es selbstverständlich nicht, nur in Deutschland weltberühmt zu sein. Weshalb sich auch das mysteriöse, stets unter Verschluss gehaltene englische Album in dieser Sammlung der verlorenen Aufnahmen findet. Die Ärzte hatten eigentlich schon früher den Fuß auf die britische Insel gesetzt, allerdings etwas unrühmlich mit dem fies dahingerollten Satire-Hit „Eva Braun“, der nun in der Version zu hören ist, die 1983 für die BBC-Fernsehsendung „The Tube“ aufgenommen wurde. Und auch das englische „You Want To Kiss Me“ erblickte kurze Zeit nach diesem Inselflirt das Tonstudio.
Was taugen Die Ärzte auf Englisch? Nun, sagen wir es so: Da geht zumindest manchmal in der Übersetzung was verloren. So mag man bei „Mach die Augen zu“ auch für die übersetzte Version „Close your eyes again and kiss me“ dahinschmelzen. Dass allerdings der berüchtigte „3-Tage-Bart“ dem glattrasierten „Superman“ aufgepinselt wird, wäre im Fall einer Veröffentlichung wohl ein unverzeihlicher Fehlgriff gewesen. Dann zwischen „Let me show you once again, why they call me Superman“ und „Geili-Geili-Supertyp, warum hat dich keiner lieb“ klafft ein himmelweiter Ironie-Graben. Äußerst putzig hingegen ist die Visitenkarte „German Punks“, in der Farin Urlaub seine Band mit bewusst hilflosem Akzent vorstellt: „I don’t know any English, but my band is very loud“.
Bruchlandung mit „Der lustige Astronaut“
Es gibt einige Songs, die zu früh kamen, etwa „Monsterparty“ von 1985, das sich erst als Ausgrabung fürs „Unplugged“-Album im Jahr 2002 zum echten Live-Abräumer mausert. Und welche, die viel zu spät kamen, denn wer wollte sich im Jahr 2000 noch an einem Hit namens „Techno ist die Hölle, mein Sohn“ reiben? Obwohl der Song sehr gelungen und die Aussage durchaus immer noch nachvollziehbar ist.
Dass die Ärzte als geniale Dilettanten begannen, wird bei den Songs aus der Frühzeit besonders deutlich. So klingt gerade Farins Kassettendemo von „Der lustige Astronaut“ noch verdammt ungeschliffen, ebenso der Rums-Beat beim Demo von „Claudia hat ‘nen Schäferhund“. Gerade bei diesem Song werden zwei klassische Ärzte-Reime noch schmerzhaft vermasselt – aber das sollte man schon aus Jugendschutzgründen lieber selbst nachhören.
Mit Nena „Nur geträumt“
Außerdem waren Die Ärzte seinerzeit gewaltige Nena-Fans, das weiß man ja spätestens seit ihrem Film-Debüt „Richy Guitar“, in dem sich die damaligen Nichtsnutze noch als Boxenschlepper für die NDW-Queen verdingten. Dass die Jungs jedoch während einer Live-Radiosendung eine Coverversion des Nena-Hits „Nur geträumt“ gespielt haben, a cappella und mit Kazoo-Tröten angereichert. Das dürfte für viele Fans eine echter Grund zum Jubeln sein.
Auch wenn sich unter den fast 60 Rohdiamanten ein paar wie „Dumme Sache“ oder „Knäckebrot“ finden, die es selbst nach einer Totalüberholung bestenfalls als Füller auf ein Album gebracht hätten, das gehört mit zu System eines Schrott-Album. Dafür erfreut man sich umso mehr, wenn man die noch etwas ungeschliffenen Demos von Schmachtfetzen à la „Wie am ersten Tag“, „Komm zurück“ oder „2000 Mädchen“ hört.
Liebe Ärzte, schön dass Ihr für einen Spaß auch noch das Allerletzte aus Euch rausholt. Man möchte sagen: Schrott sei Dank!