Berlin. Ab Donnerstagabend: Die Abschieds-Berlinale des altgedienten Festival-Chefs Dieter Kosslick ist eher Knäckebrot-Kino als ein filmisches Festmahl.
„Sag beim Abschied leise Servus“ – und ganz besonders leise tut das Berlinale-Direktor Dieter Kosslick. Nach 18 Ausgaben des weltweit größten Publikumsfestivals verabschiedet sich der 70 Jahre alte Intendant beim 69. Berliner Filmfestival (7. bis 17. Februar) vom Roten Teppich. Wer eine Star-Parade erwartet hat oder cineastische Knüller, sieht sich enttäuscht. So wenig Vorfreude war lange nicht.
Dünner fiel die VIP-Dichte selten aus, angesagt haben sich, wieder einmal, die Deneuve, dazu Christian Bale, Tilda Swinton und Diane Krüger. Dann muss man schon auf die Jury-Präsidentin Juliette Binoche zurückgreifen, um die Handvoll Promis zusammenzubekommen. Mit der famosen Polit-Satire „Vice“ über den US-Vizepräsidenten und allmächtigen Strippenzieher Dick Cheney (eine Paraderolle für Schauspiel-Chamäleon Christian Bale), findet sich zudem nur ein einsamer Leuchtturm im Programm. Weil das Meisterwerk in anderen Ländern längst im Kino läuft, bleibt der Berlinale nur der wenig exklusive Status „Außer Konkurrenz“.
Selbst Grütters meldet sich im Netflix-Streit
Peinlich könnte gleichfalls der spanische Beitrag „Elisa und Marcela“ von Isabel Coixet werden. Nicht, weil es sich um ein wahres Lesben-Drama zur Jahrhundertwende handelt, sondern weil der Streaming-Anbieter Netflix dahinter steckt. Dessen Filme dürfen, im Unterschied zu Venedig, auf der Berlinale nur im Wettbewerb antreten, wenn vor der Online-Auswertung ein Kinostart garantiert wird. Doch den, so meldet der Hollywood Reporter, solle es gar nicht geben. Der Festival-Chef verweist auf eine ausdrückliche Bestätigung der Regisseurin – bleibt abzuwarten, ob der Bären-Kandidat am Nasenring durch die Netflix-Manege gezogen wird. Vielleicht findet sich in Luxemburg oder Panama ein Lichtspielhaus, das dem Streaming-Konzern den erforderlichen Kinoeinsatz abstempelt. Selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters meldet sich mittlerweile zu Wort. Sie habe Verständnis, dass Produzenten Filme auch über Netflix verbreiten wollen, „aber dass ein Netflix-Film ganz ohne Kinoauswertung auf einem originären Kino-Festival läuft, das geht zu weit.“
Vom drohendem Netflix-Ärger und dem dünnen Star-Aufgebot ganz abgesehen, fehlt aber vor allem die Vorfreude auf cineastische Leckerbissen, von Höhepunkten ganz zu schweigen. Schwermütige Sorgen-Filme liegen wie Mehltau auf dem Wettbewerb. Melancholie aus Mazedonien oder der Mongolei klingt mehr nach Knäckebrot als nach Festival-Festschmaus. Fatih Akins Serienkiller-Schlachtplatte „Der Goldene Handschuh“, der die Story des St.-Pauli-Mörders Fritz Honka nachzeichnet, dürfte gewiss gewohnt spektakulär ausfallen – der Glanz der Weltpremiere strahlt freilich denkbar winzig: Schon vier Tage nach Festival-Ende startet der Film in den Kinos.
Doris Dörrie und Sebastian Schipper außen vor
Etliche andere Namen sucht man vergeblich. Vor zehn Jahren machte Doris Dörrie mit ihren „Kirschblüten“ Furore. Die Fortsetzung des Berlinale-Lieblings muss jedoch draußen bleiben. Ähnlich erging es Sebastian Schipper. Für seinen mit nur einer einzigen Kameraeinstellung gedrehten „Victoria“ gab es 2005 viel Beifall. Sein aktuelles Drama „Road“ ist derweil nicht im Programm – vielleicht hätte er besser nicht jenen Schmähbrief der 79 Filmschaffenden unterzeichnen sollen, die vor zwei Jahren heftige Kritik an Kosslick äußerten. Diese kleine Verschwörungstheorie könnte auch Christian Schwochow hegen: Er gehörte gleichfalls zu den Brief-Unterzeichnern. Seine Neuverfilmung von Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“ sucht man auf der Berlinale vergeblich.
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Derweil bleibt die Nebenreihe „Panorama“ ihrem Ruf als Talentschuppen treu. Als großer Geheimtipp kursiert „O Beautiful Night“ des Berliner Jungfilmers Xaver Böhm, bei dem die „Toni Erdmann“-Macher „Komplizen Film“ als Produzenten auftreten. In der neonblinkenden Großstadt treibt der leibhaftige Teufel ein böses Spiel mit einem jungen Hypochonder, gespielt vom angesagten Shooting-Star Noah Saavedra („Egon Schiele“). Auf die Premiere zur Festivalhalbzeit am Dienstag darf auch die NRW-Filmstiftung stolz sein, immerhin hat man 180.000 Euro Fördergeld spendiert für das stylebewusste Teufelswerk – immerhin ein potenzieller Knaller-Kandidat bei Kosslicks Knäckebrot-Kinoshow.