Ein Sammelband aus dem Verlag Henselowsky Boschmann vereint Revier-Perspektiven von 36 Autorinnen und Autoren.

Vielleicht kommt das vom ewigen Pelz-nach-innen-Tragen oder von den vielen, vielen, abertausenden und zig Millionen Tonnen Kohle und Stahl, die hier raus und rein und raus gingen. Das Ruhrgebiet hat ein leicht gestörtes Verhältnis zu Dimensionen, entweder stellt es sein Licht unter den Scheffel oder es klaubt noch aus der hintersten Ecke alles zusammen, was zum deplatzierten Protzen taugt: „20 Kunstmuseen, zusammen größer als das Museum of Modern Art in New York.“

Deshalb darf man sich wohl nicht wundern, wenn ein Sammelband mit lauter Liebes- und wenig Hasserklärungen an diesen Landstrich unter dem eigenwilligen Titel „Ruhrgebietchen“ daherkommt. Nun, „Ruhrgebieter“ wäre falsch, dazu ist die Anarchie städtischer Egoismen zu groß, und „Ruhrgebiest“ käme übertrieben daher – so wild war es vielleicht früher mal.

Die 1001 Ambivalenzen des Reviers

„Ruhrgebietchen“ also, und die meisten der 36 Autorinnen und Autoren streicheln ihrem Liebling denn auch zärtlich übern Hinterkopf, mit Rückblicken oft in die 60er-, 70er-, 80er-Jahre, als dem Pott mehr und mehr die Kohlen abhanden kamen. Aber es gibt auch den Dialog des Krimi-Duos Karr und Wehner, der 1001 Ambivalenzen des Reviers skizziert, es gibt die wunderbar erzählte Kritikerkritik des Romanciers und Essayisten Jürgen Lodemann und eine furios vernichtende, intellektuell aber klarsichtige Duisburg-Vernichtung von Gerd Herholz, dem ehemaligen Leiter des Literaturbüros Ruhr. Der Künstler und Autor Thomas Rother porträtiert unnachahmlich einen alten Zollvereiner mit Herz und Geschichtsverstand, und der Journalist Stefan Sprang wagt eine „Ruhrland-Version“ von Alan Ginsbergs legendärem „Howl“ – und gewinnt in wortgewaltigem Bewusstseinsstrom.

Dass es daneben auch den einen oder anderen biederen, konventionellen Text gibt, wird man als bildgetreue Spiegelung des Ruhrgebiets verstehen dürfen.

Ruhrgebietchen. Was deine Kinder an dir lieben und was nicht. Verlag Henselowsky Boschmann, 223 S., geb., 9,90 €