. . Der Welt-Hit „No Roots“ hat sie lange davon abgehalten, aber jetzt ist „Mint“ endlich da: ein Fest für Liebhaber von Pop der melodiösen Art
Mit dem Single-Hit „No Roots“ kam für Alice Merton ein früher, etwas überraschender Durchbruch mit globalem Ausmaß, und der Trubel, den das mit sich brachte, zögerte die Arbeit an ihrem Debütalbum „Mint“ etwas hinaus. Aber morgen ist es da, und es ist ein echtes Fest für Liebhaber selbstbewusster, melodischer, auch mal störrischer Popmusik.
Und vielleicht hat sein Titel „Mint“, also Minze, auch etwas mit dem Trubel zu tun: „Minze beruhigt meinen Magen“, sagt Alice Merton, freimütig und direkt, beim Gespräch im Büro ihrer (eigenen) Plattenfirma „Paper Plane Records“ in Berlin-Mitte. Merton wirkt zwar wie ein stets supergelauntes Energiebündel, aber dass die 25-Jährige unter Ängsten leidet, ist eben auch Teil ihrer Wahrheit. „Minze hilft, aber nur gegen die Symptome, nicht gegen die Gründe. Was mir aber auf jeden Fall immer Linderung verschafft, ist Songs zu schreiben.“ Und so fängt „Mint“ auch gleich mit einer Anti-Angst-Nummer an, „Learn To Live“. Darin beschreibt Alice, wie sehr sie sich wünscht, „dass mich die Ängste nicht so bestimmen und ich endlich leben könnte, ohne immer über die Konsequenzen meines Tuns nachzudenken.“
Krachend ehrliche Texte
Viel Zeit zum Nachdenken hat Merton aktuell freilich nicht. Der Erfolg von „No Roots“ vor gut einem Jahr forderte seinen Tribut: „Es ist für mich immer noch nicht leicht zu verstehen, warum der Song so funktioniert hat“, sagt Alice Merton. „Aber ich kann mich nicht beschweren.“ Dass „No Roots“ aus ihrem Mund so authentisch klingt, hat auch eine Menge mit ihrem Leben zu tun. Der Vater Ire, die Mutter Deutsche. Geboren in Frankfurt am Main, dann kurz New York, später lange die kanadische Provinz, mit 13 nach München – Alice Merton ist viel rumgekommen in ihrem jungen Leben. „Ich reise gern, und liebe es, neue Orte zu sehen. Andererseits ist der Wunsch, Wurzeln zu schlagen, schon auch vorhanden.“ Die Ironie ist ja, dass Alice, die zwölf Mal mit ihren Eltern umzog, seit dem Sensationserfolg von „No Roots“ erst recht nicht mehr wirklich irgendwo zuhause, sondern „praktisch seit zwei Jahren auf Tour“ sei.
Ihr Abitur macht Merton, die innerhalb von ein, zwei Jahren Deutsch lernte, auf einer Münchner Klosterschule nur für Mädchen. Dann studiert sie BWL in Augsburg, bevor sie auf die Popakademie in Mannheim aufmerksam wird und sich erfolgreich dort um einen Studienplatz bewirbt. „Als es in Mannheim klappte, war mir klar: Alles oder nichts. Ich habe mich richtig reingehängt und wollte es unbedingt als Musikerin schaffen.“
An den Wochenenden fährt sie nach Berlin, knüpft Kontakte, etwa zu dem Produzenten Nico Rebscher, mit dem sie auch „Mint“ aufgenommen hat, eine vor melodischer Dynamik und krachend ehrlicher Texten strotzenden Platte, die ein bisschen an die Werke einer jungen Lily Allen oder Kate Nash erinnern. Mit ihrem Kommilitonen Paul Grauwinkel zieht sie schließlich in die Hauptstadt (das Lied „2 Kids“ handelt vom Kennenlernen der beiden an einer Bushaltestelle), sechs Monate leben die platonischen Freunde in einer Einzimmerwohnung und teilen sich ein Doppelstockbett, auch „Paper Plane Records“ gründen die beiden Do-It-Yourself-Menschen gemeinsam. „Ich bin sehr dickschädelig und wollte meine Musik nicht ändern, nicht gefälliger produzieren. Also haben wir es selbst gemacht.“
Und wie. „Funny Business“ heißt Alice Mertons neue Single. Darin betont sie, sich nicht veräppeln verbiegen zu lassen. Im Gegenzug bekomme man eine aufrechte, verlässliche Partnerin: „Ich bin ein ehrlicher Mensch. Man kann mir vertrauen“, sagt Alice. „Jetzt muss ich es bloß noch schaffen, mir noch besser selbst zu vertrauen.“ Zur Not mit einer extragroßen Packung Minzgummis.