Dortmund. . „Zechen & Wunder“ lautet das neue Motto von Geierabend auf Zollern II/IV in Dortmund. Bis Anfang März gibt es dort beste Unterhaltung.
Bundespräsident Steinmeier schleppte den letzten Brocken Kohle weg. Das war’s dann wohl. Schicht im Schacht? Das lassen sich Dortmunder nicht vorschreiben. Hier fährt ein Trupp von Tausendsassas auch 2019 unbeirrt ein: Geierabend ist angesagt, und der Anarcho-Karneval, der mit Köln und Kamelle so gar nichts am Hut hat, entflammt mit neuer Spielfreude. Auf Zollern II/IV geschehen „Zechen & Wunder“.
Auf dem Schloss der Arbeit, wie die vielleicht schönste Zeche des Reviers genannt wird, bieten die Geier bis Anfang März eine bunte Bühnenshow, beste Unterhaltung und einen ureigenen kohlrabenschwarzen Humor. Weil die schrägen Vögel um den ewigen Präsidenten Roman Henri Marczewski ihrer Profession folgen: Verkleiden und Spielen, Krawall machen und richtig gute Musik, auf den Putz und die Politik hauen, die Ungerechtigkeiten geißeln, komisch, bissig-böse, ungeniert und schön schrill sein. Manchmal auch prollig - wie manchmal auch der Pott.
Westfälische La-Ola-Welle in drei Stufen
Zwei echt starke Frauen (Franziska Mense-Moritz und Sandra Schmitz) entern die Bühne und produzieren gleich mehrere Geier, die westfälische La-Ola-Welle in drei Stufen: 1. auf den Tisch klopfen, 2. mit den Füßen stampfen, 3. die westfälische Schwerkraft überwinden, aufstehen und jubeln. Ob als Coco und Sahara im Zicken- und Divenkrieg hinter der Bühne, ob als geschundene Eiche Irene im Hambacher Forst oder im Bademantel mit „Rücken“ in der Raucherecke: Die wilden Weiber sind eine Wucht.
Auch Neuzugang „Obel“ (Andreas Obering) trägt sich gleich bei seinem ersten Mal ins Geierabend-Geschichtsbuch ein. Seine Charles Aznavour-Parodie in „Merkel & Macron“ besticht mit Stimme und Starallüren (Du lässt dich geh’n Madame). Aber er kann auch den Wut-Bürger aus Ostdeutschland, den Kölner Jeck, verirrt nach Westfalen, sogar den Italiener in der munteren Euro-WG. Der Mann aus Hamm ist Sprachakrobat und ein Geier-Glücksgriff wie einst Multitalent Murat Kayi.
Den Borussen-Kult feiern jetzt die Frauen
„Die Zwei vonne Südtribüne“ haben übrigens ihre Dauerkarte abgegeben, den Borussen-Kult feiern jetzt zwei Frauen – in Leoparden-Leggings, Kippe auf dem Zahn und Pils in der Hand. Mehrzahl von Bier? Klar: Kasten! Den schaffen die beiden locker. Das schwarz-gelbe Duo ist so peinlich wie köstlich, so hohl, „da reicht beim Röntgen ein Teelicht“.
Nichts ist den Geiern heilig, die Kirche sowieso nicht, die Grünen auch nicht, Veganer gehen gleich gar nicht. Gegen Rechts zeigen die Krawallmacher klare Kante. Immer. Bei der „Kaffeefahrt ins Braune“ mit Einkehr im „Runenkrug“ bleiben die Lacher im Halse stecken. Chemnitz und Dortmund werden keine Partnerstädte mehr, soviel steht fest an diesem Abend.
„Brei mit Illner“ trifft den Geschmacksnerv
Die Nummer „Brei mit Illner“, Thema Huschi Pfuschi, trifft voll den Geschmacksnerv und entlarvt die Polit-Talks als das, was sie sind: völlig fade, immer wieder aufgewärmte Einheitskost mit immer denselben Kostgängern.
So klug wie urkomisch kommt die „Nachspielzeit“ rüber, das klassische Interview nach dem Spiel, die „Königsdisziplin“ im TV-Geschäft. Diesmal aber nach einem Kammerkonzert. Hans-Peter Krüger und Martin F. Risse brillieren als Musiker „mit 98 Prozent Notenbesitz“ und Moderator mit Null Ahnung. „Die Hörner kamen doch von links“, „aber ich stand völlig frei vor dem dreigestrichenen fis, den muss ich machen…“
Es gibt frische Ideen, neue Figuren, viel mehr Farbe und eine neue Regie bei der Revierrevue. Die Geier haben Aufwind.
Auf Zollern ist noch lange nicht Schicht.